Arbeiterkids im Nachteil

■ Nur acht Prozent lernen an Gymnasien. Wissenschaftlerbund für neue Bildungsreform

Münster (taz) – Die Bildungsreform der 60er Jahre hat die Ungleichheiten im Bildungssystem nicht abschaffen können. Im Gegenteil: Die Bildungsunterschiede nehmen wieder zu. Dies ist die Bilanz, die gestern die Teilnehmer einer Fachtagung des in der Tradition der 68er stehenden Bundes demokratischer WissenschaftlerInnen (BdWi) in Münster zogen.

„Die sozialen, ethnisch-kulturellen und geschlechtsspezifischen Disparitäten und klassischen Muster sozialer Auslese sind auffällig stabil geblieben“, stellte Ursula Birsl, Sozialwissenschaftlerin an der Uni Göttingen, in einer Studie fest. Der Anteil von Kindern aus Arbeiterfamilien, die das Gymnasium besuchen, verharre – nach anfänglichen Erfolgen – seit den 80er Jahren „relativ konstant bei rund acht Prozent“. Ausländerkinder gleicher Schicht seien noch stärker betroffen: 1991/92 lag ihr Anteil an Gymnasien bei 5,1 Prozent.

Die Weichenstellungen des dreigliedrigen Schulwesens seien so gut wie nicht korrigierbar, konstatierte Birsl. „Jugendliche, die bereits an der ersten Schwelle im Schulsystem auf die Hauptschule verwiesen wurden, haben kaum Gelegenheit aus diesem unteren Segment wieder herauszukommen.“ Der BdWi forderte in Münster daher eine Debatte über eine „zweite Bildungsreform“.

Zu den alten, nur scheinbar überwundenen Formen der Auslese kämen neue hinzu. Seit 1997 ermöglicht ein Gesetz den Hochschulen in Baden-Württemberg, den üblichen Numerus clausus durch „Eignungsfeststellungen“ zu ergänzen. Je nach Fach fordern die Auswählenden den StudienbewerberInnen Auswahlgespräche und einen „Motivationsaufsatz“ ab – manchmal gar Intelligenztests. Unklar bleibe dabei, monierten Studierende, die Kriterien des Motivationstests. „Das Verfahren ist dubios“, kritisierte Tobias Horn von der Fachschaftskonferenz der Uni Heidelberg. „Die wollen sich die Elite raussuchen, der Rest wird auf Fachhochschulen abgeschoben“, sagte er. Kristine Schmidt