■ Normalzeit
: Mauern und Spalten

„Die Talsohle ist erreicht“ bzw. bereits „durchschritten“, tönte es mit Abschluß der gröbsten Privatisierungen Land unter Glück auf. Inzwischen sind sogar die Demonstrationen zur Verlängerung von Groß-ABM schon Geschichte geworden. Und bei den letzten Schließungen bereits privatisierter Betriebe zwecks Marktbereinigung – TRO, KWO, Orwo, ABB etc. – rührte sich kein Schwein mehr. Auch die Arbeitslosenbewegung kommt trotz aktiver „Medienbegleitung“ über das intellektuell-ironische Zitieren der Franzosen nicht hinaus. In einer solchen Situation geht naturgemäß ein „Ruck“ durch die Linke – bis hin zu den „Grünen“, d.h. diverse „Projekte“ spalten und versekten sich. In Berlin ist man da scheint's besonders sensibel. Erst traten etliche Bürgerrechtler zur CDU über, dann schanzte Wolfgang Ullmann, Stiftungsmitglied im Haus der Demokratie (dem Hauptquartier der außerparlamentarischen Opposition), diese wertvolle Friedrichstraßen-Immobilie ausgerechnet der parlamentarischen Enquetekommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zu. Dann spaltete sich von der jungen Welt die Jungle World ab. Schließlich kämpften Betriebsrat und Basis der tageszeitung gegen die Geschäftsführung, um eine Bundeswehr und zwei Atomindustrie-Anzeigen im Blatt zu verhindern. Und zuletzt spaltete sich auch noch die Redaktion der Zeitschrift Sklaven im Basisdruck-Verlag: Eine Gruppe um Wolfram Kempe und Bert Papenfuß zog aus und gab eine neue Zeitschrift namens Sklavenaufstand heraus. Zuvor hatten sie bereits ihre Veranstaltungsreihe „Sklavenmarkt“ aus der Basisdruck-Kneipe „Torpedokäfer“ in das Lokal „Siemeck“ verlegt. Einige Sklaven- und „Torpedokäfer“-Gesellschafter, u.a. Stefan Döhring, verpaßten daraufhin ihrer alten Zeitung Sklaven ein farbiges (Volksbühnen-)Layout und eröffneten zudem ein neues Lokal namens Luxus. Beide Redaktionen halten auch zukünftig „Franz Jung“ die Werktreue, aber während z.B. der Revolutionsexperte der Sklaven, Hedeler, weiterhin Bucharins Geißelungen der faschistischen deutschen Kultur bearbeitet, diskutiert man auf dem „Sklavenmarkt“ im Siemeck zusammen mit dem „wahren Revolutionär im heutigen Rußland“ – Dimitrij Kostjenko –, ob dessen heutiger „Anarchismus“ nicht in Wirklichkeit faschistisch sei.

Gewiß, diese „Spaltungen“ berühren die breite Masse der Bevölkerung quasi nur am Rande, aber auch in der bürgerlichen Öffentlichkeit kriselt es: so etwa zwischen Sabine Christiansen und Erich Böhme sowie zwischen Pro7 und Ulla Kock am Brink. Und während Guildo Horn unerwartet genuin deutsche Triumphe einfährt, avancieren Trapattoni und sein Trainer Harald Schmidt bei den Jungtürken zu echten Freiheitskämpfern. Die Berliner Sozialdemokraten spalteten sich derweil in ihre Basis (bei den Stadtbetrieben) und in die diese privatisierenden Planungs-Intellektuellen um die Finanzsenatorin, die sich ihrerseits hinter Grünen-Politikerinnen und Rowohlt-Lektorinnen verschanzt hält. Auch die sich gesundschrumpfenden Gewerkschaften mauern nur noch. Sogar das Kapital neigt zum Schanzenbau – wobei es schamlos die einmal gegen Militär und Polizei durchgesetzte „Bannmeile“ ausnutzt: diesmal gegen mögliches bürgerlich-demokratisches Aufbegehren. Wie eine Wagenburg um den geplatzten Pariser gescharrt (Quandt, Dresdner Bank, Hotel Adlon, Akademie der Künste, ARD-Zentrale und US- Hauptquartier), begeht man dort nun – burisch – eine Brandenburger Torheit nach der anderen: Nicht nur wird Gorbatschow zum Kronzeugen für die Liquidierung der Bodenreform umgedreht, das Richtfest am endlich wieder gekuppelten Reichstag läßt man auch noch vom scientologyverdächtigen Roncalli-Zirkus ausrichten – anderntags schreibt die B.Z.: „An einem Seil zeigte Sergej sein Können. Zirkuschef Bernhard Paul: ,Sein Großvater hißte nach Kriegsende die rote Fahne am Reichstag – sein Enkel zieht heute die Roncalli-Fahne hoch!‘“ Helmut Höge