■ Wahrheit-Reporter vor Ort: Erlebniswelt Pachttoilette
: Willkommen bei den Marquards

Sicher, es gibt schönere Arbeitsplätze. Die Marquards aber haben sich ihren so schön wie möglich eingerichtet. Besucher und Besucherin werden von behaglicher Wohnzimmeratmosphäre empfangen: ein paar Stühle, ein Bücherschrank, ein Kübel mit Plastikblumen. Mittendrin sitzt Herr Marquard mit seiner Frau und sagt sein Sprüchlein auf: „Guten Abend, Damen bitte schön links... rechts die Männers.“

An die 500mal an einem Abend begrüßt er so seine Kunden. Vorausgesetzt, die Veranstaltung läuft gut – seit fünf Jahren verbringt das Ehepaar fast jeden Abend auf seiner Pachttoilette in der Berliner Kultur-Brauerei. Er sitzt auf der Frauen-, sie auf der Männerseite. Die Platzverteilung ist kein Zufall, sondern folgt einer ausgeklügelten Geschäftsstrategie. „Das ist Psychologie“, erklärt Matthias Marquard, „weil der Mann besser mit den Frauen zurechtkommt und die Frau besser mit den Männern.“ Denn „vors Pullern sollte es ja auch einen kleinen Obolus geben“.

„50 Pfennig tun nicht weh, für ein sauberes WC“ prangt als Motto dem Eingang gegenüber in Sichthö

he. Auf dem Tisch darunter haben die Marquards ihr Warensortiment ausgebreitet: Vom Kondom über Zahnbürste bis zum Schoko- Riegel ist hier alles zu haben, wonach es Nachtschwärmer gelüsten könnte. Für alle Fälle hält Jolanta Marquard Pflaster, Tampons und Kopfschmerztabletten bereit – hier ist der Mensch mit all seinen Bedürfnissen willkommen.

Bereut haben sie ihre Berufswahl bisher nicht. Jolanta Marquard, gebürtig aus Polen und gelernte Kindergärtnerin, hat ihren anfänglichen Ekel überwunden. Jetzt möchte sie ihren Arbeitsplatz nicht mehr missen: Früher habe sie sich nie getraut, deutsch in der Öffentlichkeit zu sprechen, seit sie Nacht ein, Nacht aus vor ihren Toiletten sitzt, hat sie ihre Scheu verloren. „Hier kommen Menschen nur zum Guten-Tag-Sagen“, erzählt sie. Silvester zum Beispiel: „Da waren Leute da, nur zum Wünschen sind die gekommen. Das macht Arbeit leichter und macht viel Glück.“ Stolz zeigt Jolanta Marquard ihr Autogrammbuch. Ein fast lückenloses Verzeichnis aller Musiker, Kleinkunststars oder Politiker, die in den letzten Jahren in der Kultur-Brauerei aufgetreten sind: Von den Zöllnern bis Hiltrud Schröder. Irgendwann mußten sie alle mal bei den Marquards einkehren. „Leben ist schöner als nicht leben“, dichtete Georgette Dee romantisch, gewohnt pragmatisch lautet hingegen Sozialministerin Regine Hildebrandts Widmung: „Gutes Geschäft“.

Am einträglichsten sind die Abende, an denen die Toilette pauschal vom Veranstalter angemietet wird. Reichtümer bringt die Pachttoilette nicht ein. Vom wechselnden geschäftlichen Erfolg künden die Poster, die jedes freie Stück Wand bedecken. Matthias Marquard erinnert sich an jedes Konzert, jede Lesung, jede Party: „Als die Musikgruppe hier aufgetreten ist...“, er zeigt auf ein Plakat, „...da war in drei Stunden ein Mensch hier.“ In bester Erinnerung hat er die Premiere des Werner-Films. Da floß das Freibier in Strömen, und dementsprechend war der Andrang auf die Pachttoilette.

An diesem Abend läßt der Blasendruck der Discobesucher im Kesselhaus nebenan, wohl aufgrund des fehlenden Freibiers, zu wünschen übrig. Gegen drei Uhr nachts betritt kaum mehr jemand die Toiletten-Erlebniswelt der Marquards. Bis der letzte Gast verabschiedet ist und die Marquards die Klos geputzt haben, dauert es noch ein paar Stunden. Zeit zum Pläneschmieden. Jolanta Marquard träumt von einer Woche Urlaub an der Ostsee. Gibt es sonst noch einen Wunschtraum? Die beiden müssen nicht lange überlegen. Eine richtige Toilettenanlage, das wäre etwas: „Mit Kacheln und fließend heiß Wasser.“ Gerd Brendel