Hamstern, bis die Regale leer sind

■ Transportstreik legt dänische Wirtschaft lahm. Gewerkschaftsführung ignorierte ihre Basis

Stockholm (taz) – Lange Autoschlangen vor den Tankstellen, kein Brot mehr in den Regalen, schnell noch die letzten Milchtüten gekauft. Die DänInnen hamsterten gestern, was noch zu hamstern übrig war. Bereits am Wochenende brach das Chaos in den Supermärkten aus. „Seit Jahrzehnten hat es das nicht gegeben“, berichtete die Nachrichtenagentur RB, deren ReporterInnen sich nur noch zwischen leergefegten Regalen und Kühltruhen umschauen konnten.

In Dänemark wird seit gestern um Mitternacht gestreikt. Was im privaten Transportsektor begann, wirkte sich über Sympathiestreiks und Aussperrungen schon am ersten Tag auch indirekt auf das gesamte Wirtschaftsleben aus. Der gesamte Lkw- und Flugverkehr ist lahmgelegt, die meisten Bauarbeiten stehen still, ein Großteil der verarbeitenden Industrie mußte die Fließbänder anhalten. Nahezu alle Tageszeitungen brachten nur noch Internet-Notausgaben heraus. Wird bis zum 4. Mai keine Einigung erzielt, droht die Arbeitgeberseite mit umfassenden Aussperrungen. Dann wäre das Chaos komplett.

Der Konflikt begann, als 55 Prozent von insgesamt einer halben Million Gewerkschaftsmitgliedern in einer Urabstimmung vor wenigen Tagen das ablehnten, was 22 von 23 Einzelgewerkschaften vorher abgesegnet hatten: ein Tarifabkommen, das Lohnerhöhungen von je einem Prozent für dieses und das kommende Jahr vorsah. Nicht gerade berauschend angesichts der boomenden dänischen Wirtschaftslage, aber keineswegs der eigentliche Grund für den Mißmut der Basis. Dort hatte man sich von seinen VertreterInnen einen Einstieg in die sechste Urlaubswoche und ein flexibleres Arbeitszeitrecht erwartet. Diese Vorgaben glaubte die Gewerkschaftsführung nahezu ersatzlos opfern zu können und handelte lediglich einen freien Heiligabend aus.

Weil man die Rechnung ohne die Basis gemacht hatte, ist für die Tarifparteien jetzt Nachsitzen angesagt. Wobei man nicht nur wegen eines schnell um sich greifenden Versorgungsengpasses unter massivem Zeitdruck steht. Nächste Woche sollte die Kampagne zur EU-Volksabstimmung am 28. Mai beginnen. Die vorhergesagte hauchdünne Mehrheit für ein Ja soll nicht gefährdet werden. Außerdem herrscht Einigungsdruck, weil in Dänemark eine gefestigte Tradition des Eingreifens der Regierung mit Zwangstarifgesetzen besteht, wenn eine Streikbewegung als „gemeinschaftsgefährdend“ eingestuft wird – was in der Vergangenheit oft recht schnell behauptet wurde. Um den größten Tarifkonflikt in Dänemark seit 13 Jahren zu lösen, winkt den Streikenden also offenbar tatsächlich das, was ihnen mehr wert ist als Kronen und Öre: ein aufgebessertes Freizeitkonto. Reinhard Wolff