Jetzt piepsen die Handys im Minutentakt

■ Über Nacht hat die DVU den Nimbus der Phantompartei verloren – nach dem Wahltag ist man wer

Nach einem feuchten und lauten Abend läßt sich am Morgen gut spaßen. „Nehmt eure Perücken vom Kopf, zieht die Springerstiefel und die Bomberjacke an.“ Wenn Journalisten in der Nähe sind, mögen die Spitzenkandidaten der Deutschen Volksunion (DVU) nicht sauertöpfisch wirken. War das nicht ein Bombenergebnis, gestern abend? 16 Abgeordnete werden in den neuen Landtag von Magdeburg einziehen. „Da konnte die Presse noch soviel schreiben, die Leute wissen, daß wir keine Neonazis sind. Wir sind die einzige Partei, die die Dinge auf den Punkt bringt.“ Vor Freude schimmert sein Gesicht. Dieter Kannegießer (60) war auf Platz drei und ist drin.

Am Morgen danach strahlt er mit Helmut Wolf und Claudia Wiechmann, den beiden anderen Spitzenkandidaten, beim Frühstücksei im von der Partei komplett belegten Hotel um die Wette. Mehr als 154.000 Menschen haben die DVU gewählt. Das gibt auch Wahlorganisator Ralf Berszuck neue Kraft, Journalisten am Telefon hinzuhalten: „Bedaure, wir sind völlig im Streß, auf keinen Fall können Sie Interviews haben. Alles klar?“ Über Nacht hat sich die DVU vom Nimbus einer Phantompartei gelöst. Im Minutentakt piepsen Handys, man ist nun wer.

Man läßt sich bitten und hält hin. „Am unfreundlichsten sind die vom ZDF gewesen“, mault Kannegießer. Der Journalist habe doch tatsächlich gefragt: Wissen Sie, wie ein Landtag von innen aussieht? „Ja, wie denn auch?“, Kannegießer zupft an der gelben Krawatte. „Da kommt man doch nur mit besonderer Genehmigung rein.“ Im Geiste nimmt er schon einmal auf dem Abgeordnetenstuhl Platz und geht seine erste Rede durch: Jetzt machen wir Opposition, wie sie sich gehört. Keine Kompromisse mehr, jedenfalls keine faulen, keine ABM mehr, Sozialhilfeempfänger zur Arbeit verpflichtet. Markige Sätze will er im Landtag loswerden. Eigentlich seien es doch die gleichen, die auch Gerhard Schröder sagen könnte. „Oder?“ Nein, ein Ausländerfeind sei er nicht. „Ich verteufele keine Ausländer.“ Nicht alle. Nach dem Willen der DVU dürfen jene bleiben, die in den sechziger Jahren kamen, ihre Kinder dürfen bleiben und auch jene, deren Asylantrag positiv beschieden wurde.

Der ehemalige Gaststättenleiter sagt, er sei aus Furcht 1993 in die DVU gegangen. „Angst für meinen Enkel vor der Überfremdung habe ich.“ Er selbst ist Frührentner, der Sohn arbeitslos, der Schwiegersohn auch. Seine Vita liest sich wie ein Schlüsselstück der Wiedervereinigung. Von Anfang an demonstriert der parteilose Gaststättenleiter in Halle jeden Montag gegen das zerbröselnde DDR-Regime. Helmut Kohl hat er zugejubelt. „Wir haben damals CDU gewählt.“ Die Euphorie hält nicht lange. Kannegießer sieht, wie der Chemiegigant Buna in sich zusammenfällt, die Filmfabrik Orwo aufgeben muß, Tausende arbeitslos werden. Der Koalition von SPD und Grünen mißtraut er: Sie schafft keine Arbeitsplätze. Im Gegenteil, die Grünen widersetzen sich einem Großflughafen in Stendal und mögen keine neuen Autobahnen. Kannegießer sieht, wie die „wenigen Arbeitgeber Wilder Osten spielen“. Sie zahlen unter Tarif und beschäftigen Ausländer. Er ist überzeugt, daß sein Sohn wieder eine Stelle fände, würden bei öffentlichen Aufträgen die Unternehmer verpflichtet, allen Arbeitnehmern den Tariflohn zu zahlen. „Dann gäbe es keine Subunternehmer aus dem Ausland.“

Dieter Kannegießer redet über seine Probleme, er geifert nicht. Wenn er vom Wahlkampf der vergangenen Wochen erzählt, hört es sich an, als spreche er über eine Bürgerinitiative, die zu schnell gewachsen ist. In seinen Aktivitäten stützte er sich auf Gaststätten. Dort, wo der Frust am meisten rausgelassen wird, hat er DVU- Werbematerial ausgelegt. Am Tresen sammelte er die Unterschriften zur Wahlzulassung der DVU. Er allein bekam 200 der geforderten 1.000.

Der Wahlsieg ist 24 Stunden alt. Dieter Kannegießer weiß immer noch nicht, wie der Plenarsaal aussieht. Eines aber weiß er: „Hier ist eine Wende herbeigerufen worden.“ Und darüber will er demnächst reden. Annette Rogalla, Magdeburg