Unbenutzte Vitaminspritzen

■ Eine Kombination aus Therapie und Medikamenten hilft gegen Depressionen. Die richtige Diagnose aber wird oft zu spät gestellt

Die Grübeleien hörten gar nicht mehr auf. Nachts rannte Manuela Schubert (Name geändert) in „schierer Todesangst Kilometer um Kilometer“durch ihre Wohnung. Während der Panikattacken hatte sie nur ein Bedürfnis: Zu sprechen. „Manche Freunde ertragen es nicht, einen als Wrack zu sehen“, hat die Schauspielerin erfahren. Über Wochen fehlte ihr jeglicher Antrieb, morgens aufzustehen. Nach einem Selbstmordversuch ging die depressive Frau freiwillig in die Psychiatrie.

„Ich persönlich wollte mich überhaupt nicht behandeln lassen, aber das Entsetzen darüber, daß ich nicht mehr funktionierte, war derart groß, daß ich mich dazu durchgerungen habe“, sagt Schubert, die heute ihren Beruf wieder ausübt. Im Gegensatz zu vielen anderen Depressiven war ihr klar, daß die vom Hausarzt verordneten Vitaminspritzen und Beruhigungsmittel ihr nicht weiterhelfen würden. „Leider wird die entscheidende Diagnose oft zu spät gestellt“, weiß Professor Michael Stark, Leiter der Abteilung Sozialpsychiatrie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). „Viele Patienten bringen sich um, bevor sie professionelle Hilfe erreicht“. Empfindungslosigkeit, massive Schlafstörungen und Niedergeschlagenheit über Wochen – dieses Erscheinungsbild der Depression geht über eine temporäre Traurigkeit weit hinaus. Die „stille Revolution“in der Behandlung depressiver Patienten, so Stark, bestehe in einer Kombination von Antidepressiva und Psychotherapie.

Entgegen allen Mißtrauens machen neue Präparate gegen Depressionen weder abhängig noch high. „Als Glückspille für den gesunden Menschen eingenommen, zeigen diese Medikamente außer Übelkeit keinerlei Wirkung“, versichert der Chef der UKE-Psychiatrie, Dieter Naber. Die neue Generation der Antidepressiva wie die sogenannten selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer können auch im Fall einer Überdosierung nicht tödlich wirken. Allerdings verbessern die nach etwa drei Wochen anschlagenden Medikamente den Antrieb schneller als die Stimmung, so daß für kurze Zeit eine erhöhte Gefahr der Umsetzung latenter Suizidideen besteht.

Nur in leichten Fällen kann der quälenden Antriebslosigkeit auch mit Johanniskrautpräparaten begegnet werden. Im UKE lernen PatientInnen, ihre Lebensumstände unter die Lupe zu nehmen und Krankheitsschübe vorzeitig zu erkennen. In psychotherapeutischen Gesprächen werden ihre Biographien nach möglichen Ursachen durchforstet. Viele haben sich in einer Selbsthilfegruppe zusammengetan. Lisa Schönemann