Beruhigende Maßnahmen Von Carola Rönneburg

Heute ist nicht nur der letzte Mittwoch im April. Heute ruft die Bayrische Landeszentrale für Gesundheitsbildung zum „Tag für die Ruhe“ auf – in Zimmerlautstärke, natürlich.

In erster Linie geht es der Landeszentrale um „die Freunde lauter Musik“, denen sie empfiehlt, „mit einer lärmfreien Pause den Ohren Erholung zu gönnen“. Gemeint sind damit vor allem jugendliche Freunde, „die mehr als 500 Stunden lang laute Musik aus dem Walkman konsumieren“. (Ich habe das nachgerechnet und glaube, daß sich die 500 Stunden aufs Jahr verteilen. Sonst nämlich müßten sich walkmansüchtige Jugendliche entscheiden, ob sie schlafen oder zur Schule gehen wollen. Aber was weiß ich von Jugendlichen?)

Jeder vierte junge Erwachsene sei aufgrund seiner Vorliebe für die Laute Musik hörgeschädigt, so die Landeszentrale. Werden die Sinneszellen im Ohr nämlich zu lange einem hohen Schalldruck ausgesetzt, gehen sie ein. Und der Vorrat ist begrenzt: Jedes Ohr muß mit etwa 20.000 Stück auskommen. Da empfiehlt es sich also schon, nicht allzu verschwenderisch mit den Sinneszellen umzugehen. Wer herausfinden will, ob sein Gehör noch intakt ist, dem raten Ohrenexperten zu folgendem Test: Man legt eine mechanische Armbanduhr in einem ruhigen Raum aus. Wer ihr Ticken im Abstand von zwei Metern nicht mehr hört, ist über 25 oder muß zum Arzt.

Das klingt sehr vernünftig. Allerdings gehen die Meinungen darüber, was unter einem ruhigen Raum zu verstehen ist, innerhalb der Gesellschaft reichlich auseinander. (Nichts da. Ich komme jetzt nicht auf öffentliche Verkehrsmittel und Jugendliche mit eingewachsenem Kopfhörer zu sprechen: Wir sind hier schließlich nicht beim Tagesspiegel). Die Handwerker jedenfalls, die seit ungefähr hundert Jahren jeden Morgen ab sieben Uhr in der Nachbarwohnung schleifen, hämmern, bohren; die unter größtmöglicher Polterei ein weiteres lärmsteigerndes Gerät durchs Treppenhaus schleppen und auf meiner Fußmatte Brotzeit inklusive Diskussion über den Klassenerhalt von Borussia Mönchengladbach machen; die eine orangefarbene Plastikschütte so montiert haben, daß sie zuvor zersägte Dielenbretter, herausgesprengte Gesteinsbrocken und zügig geleerte Bierflaschen an meinem Schlafzimmerfenster vorbeirauschen lassen können, bevor die Ladung unter schier unvorstellbarem Getöse auf den Metallboden eines frischen Containers im Hof trifft; die in ihrer Freizeit Motorräder tunen oder auf den Schießstand gehen und ihren Kindern zum Geburtstag einen Kinderrasenmäher schenken – diese Gesandten der Hölle nähmen in einem ruhigen Raum vermutlich nicht einmal das Ticken einer Zeitbombe wahr, und wären sie darauf festgeschnallt. (Sie stürben friedlich in der Annahme, die Bombe sei kaputt.)

Wie sagte ich schon? Heute ist nicht nur der letzte Mittwoch im April. Heute stehe ich beim ersten Ton der Fräse auf und schlendere hinüber in die Nachbarwohnung, die Handwerker erwürgen. Oder mit einem Kissen ersticken, Hauptsache lautlos. „Heute ist der Tag für die Ruhe“, flüstere ich ihnen noch zu, bevor sie für immer in die ewigen Baumärkte eingehen. Und dann will ich ganz leise ein Zigarettchen rauchen.