„Kurzfristiges Engagement macht keinen Sinn“

■ Für Heinrich von Pierer, dem Vorstandsvorsitzenden von Siemens und Vorsitzenden des Asien-Pazifik-Ausschusses, ist die asiatische Wirtschaftskrise ein vorübergehendes Phänomen

taz: Die Deutsche Bank reduziert ihre Mitarbeiterzahl in Hongkong um die Hälfte. Daimler-Benz verzichtet auf umfangreiche Investitionen in der Region. Wie reagiert Siemens auf die Asien-Krise?

Heinrich von Pierer: Wir bleiben unserem langfristigen Asien- Engagement treu. Die asiatische Finanz- und Währungskrise ist ein vorübergehendes Phänomen. Derartige Einbrüche sind auf dem Entwicklungsweg von Industrienationen nicht unnormal. Sie ändern nichts an der Tüchtigkeit von drei Milliarden Asiaten und ihrem Ehrgeiz, zu mehr Wohlstand und Ansehen zu kommen. Unsere Botschaft hier in Peking lautet daher: Wir stehen auch in Schwierigkeiten an der Seite unserer asiatischen Kunden und Partner.

Dabei verlieren Sie Geld. Wie lange kann Siemens das strategische Engagement in Asien durchhalten, ohne daß dem Unternehmen zu Hause die Aktionäre aufs Dach steigen?

Wir haben in den letzten Jahren in Asien kräftig investiert und zuletzt einen Auftragseingang von 16 Milliarden Mark verzeichnet. Trotz der zahlreichen Neuinvestitionen in jüngster Zeit ist unser Asien-Geschäft insgesamt profitabel. Von einer Benachteiligung unserer Aktionäre kann also keine Rede sein. Außerdem sichert unser Engagement in Asien bei uns in Deutschland 40.000 Arbeitsplätze.

Im übrigen zeugt es manchmal vom kurzem Atem der Medien, wenn manche, die noch vor kurzem kritisierten, daß wir in Asien nicht in ausreichendem Maße tätig sind, uns jetzt Vorwürfe machen, das Investitionsrisiko in der Region nicht richtig eingeschätzt zu haben.

Diesen Vorwurf habe ich nicht gemacht. Ich wollte nur wissen, ob Sie sich von Vorwürfen dieser Art betroffen fühlen?

Ganz gewiß nicht. Das ist doch gerade das einmalige bei unserem Vorgehen. Es unterscheidet sich grundlegend von dem anderer Unternehmen: Die einen sind nur gewillt, dort zu investieren, wo es schnell Geld zu verdienen gibt. Andere wollen zwar langfristig investieren, aber ohne ihr Know- how preiszugeben. Wir aber sind zu beidem bereit: Langfristige Investitionen, bei denen der asiatische Partner von uns lernen kann. Das gilt nicht nur für Siemens, sondern auch für die meisten deutschen Unternehmen in Asien. Hier in Peking sage ich den Chinesen immer: Wir Deutschen sind langfristig eure besten Partner.

Es gibt Fälle, in denen sich die Chinesen nicht immer als beste Partner für die Deutschen erweisen.

Das ist zu allgemein. Aber mittelständischen Unternehmen aus Deutschland muß man in Asien – und in China ganz besonders – sicherlich zur üblichen kaufmännischen Vorsicht raten. Ihnen kann in bestimmten Situationen die Kapitaldeckung fehlen, um Krisenzeiten wie jetzt zu überbrücken. Kurzfristiges Engagement in der Region aber macht keinen Sinn.

Volkswagen baut in China Autos ohne Katalysator. Verkennen nicht auch die langfristigen Investitionen deutscher Großkonzerne in Asien die Grenzen des Wachstums?

Das Problem der Luftverschmutzung in den großen Städten haben die Chinesen erkannt. Sie sollen deshalb selbst entscheiden, wann Autos mit Katalysator gebaut werden. Im übrigen: Verglichen mit den Umstrukturierungsproblemen der chinesischen Staatsunternehmen mit einigen hundert Millionen Beschäftigten, nehmen sich unsere Sorgen in Ostdeutschland verhältnismäßig klein aus. Wir sollten uns nicht anmaßen, gesellschaftliche Lösungen für eine Milliarde Menschen parat zu haben.

Beteiligt sich Siemens auch deshalb an dem umstrittenen Drei- Schluchten-Damm am Yangtse, für den nicht einmal die Weltbank Kredite hergab?

Es gibt in Europa Staudämme, die viel höher sind, als das geplante Projekt am Yangtse. Die durchaus berechtigte Debatte um die ökologischen Folgen des Drei-Schluchten-Damms trägt für mich deshalb Züge der Überheblichkeit. Was Siemens betrifft, richten wir uns auch hier nach den Projektentscheidungen der Chinesen, die uns nachvollziehbar und verständlich erscheinen.

Projektmeister des Staudamms ist Parlamentspräsident Li Peng. Sind Sie mit dem Verantwortlichen für die Niederschlagung der Studentenproteste 1989 heute befreundet?

Wir haben in der Vergangenheit die Gelegenheit zu längeren Gesprächen gehabt. Li Peng vertritt immer die Auffassung, daß die Chinesen zwei wesentliche Dinge erreicht haben: Genug Essen für alle und Frieden im ganzen Land, und das sei eine Ausnahmesituation in der chinesischen Geschichte. Für diese Sichtweise habe ich als Deutscher Respekt, wenngleich ich zur Kenntnis nehmen muß, daß die Versprechen der chinesischen Regierung – z.B. eine Mindestversorgung für alle – in den von den Strukturreformen besonders hart betroffenen Gebieten zur Zeit nicht mehr eingehalten werden können.

Es ist also nicht so, daß ich mir keine Sorgen über die chinesische Entwicklung mache. Ich weigere mich nur, aus der Ferne wohlfeile Ratschläge zu geben.