Elegante Entgleisung

■ Feiern ohne Ende: „Forrobodo - For All Bodies“bei den „Jungen Hunden 98“Von Barbora Paluskova

Das Wissen um den entscheidenden Punkt einer guten Party scheint in Brasilien zur Allgemeinbildung zu gehören. Es ist der Moment, in dem aus Höflichkeit eingeladene Bekannte plötzlich nichts mehr zu sagen haben, ihre Gläser abstellen und nach Hause gehen. Wer bleibt, will wirklich feiern, und zwar bis zum Schluß.

Forrobodó heißt dieser Zustand auf Portugiesisch. Mit der Ergänzung For All Bodies ist es der Titel eines äußerst sehenswerten Tanzstückes von Sergio Ulhoa und Claudia Trajano. Das brasilianische Tänzer- und Choreographenpaar arbeitet seit 1985 zusammen. Umfangreiche Referenzen aus Südamerika, Japan und verschiedenen europäischen Ländern hat es bereits vorzuweisen, unter anderem die Zusammenarbeit mit Peter Greenaway und Dario Fo.

Im Gegensatz zu früheren Arbeiten basiert das aktuelle Stück, das bei den „Jungen Hunden 98“auf Kampnagel gezeigt wird, erstmals nicht auf einer literarischen Vorlage. Forrobodó - For All Bodies läßt fundierte Party-Erfahrungen durchblicken, und die Übertragung aus dem Wohnzimmer auf die Bühne funktioniert geradezu perfekt.

Wohlbekannte Szenen sind zu sehen, die auf heimischem Parkett locker für eine mehrstündige Alltags-Demontage genügen würden. Eine Frau, die mit einem Glas auf dem Kopf die Posen indischer Götter-Statuen einübt. Ein starrer Mann im Sessel, dessen Kopf und Glieder sich im beschwingtem brasilianischen Rhythmus selbständig machen. Das Kramen in geheimen Wäscheschubladen. Unglaublich ungeschickte Flirtversuche. Entgleisungen auf und außerhalb der Tanzfläche.

Eine Anstandsgrenze gibt es zwar sehr wohl, aber sie liegt ganz weit hinten, ungefähr dort, wo betrunkene Gäste anfangen, sich Wäscheklammern ins Gesicht zu klemmen.

Das und mehr bringen Ulhoa und Trajano in nur 50 Minuten unter. Jede Szene wartet mit einer anderen musikalischen Unterlegung auf: HipHop, seichte südamerikanische Schlager, Industrial-Beats, Soundtracks aus alten Action-Filmen und Revolutionsballaden wechseln sich ab. Gutes Timing und abrupte, wohlgeplante Szenenwechsel sorgen dafür, daß es weder optisch noch akustisch auch nur eine Sekunde langweilig wird. Selbst wenn die beiden Feten-Veteranen erschöpft auf dem Boden liegen, geht die Dynamik nicht verloren, die sich aus der Spannung zwischen zwei Kontrahenten ergibt. Denn eigentlich ist Forrobodó ein Duell, das in allen Variationen ausgespielt wird, vom Angriff über mißtrauisches Beäugen bis zur provokativen Nichtbeachtung.

Wer sagt denn, daß man auf einer guten Party nett zueinander sein muß?

noch morgen, 1.Mai, 21 Uhr, Kampnagel, k1