The Band must schwing!

■ Neu im Kino: „Blue Note“von Julian Benedikt / Eine gelungene Filmgeschichte des modernen Jazz

„Wenn man jeden Tag Juwelen zu seinen Füßen liegen sieht, lernt man ihren Wert nie zu schätzen!“– so beschreibt ein schwarzer Musiker in diesem Film das Verhältnis der US-Amerikaner zum Jazz. Tatsächlich waren es immer die Europäer, die diese einzige originäre Kunstform der USA als solche erkannten und förderten. Von den späten 30er Jahren an etwa die beiden jüdischen Emigranten Alfred Lion und Frank Wolff aus Deutschland, die das „Blue Note“Plattenlabel gründeten, auf dem bis in die späten 60er Jahre hinein fast alle Stars des modernen Jazz zusammen etwa 1.000 Aufnahmen machten. Und selbst jetzt noch muß ein junger Filmemacher aus Deutschland daherkommen, um der größten Talentschmiede des Jazz ein würdiges Denkmal zu setzen.

Lion und Wolff hatten im Berlin der 20er Jahre weltläufigen Geschmack und Raffinesse entwickelt, mit denen sie in New York schnell merkten, daß kaum jemand die „Juwelen“der schwarzen Musik auflesen und polieren wollte. Zuerst mit afroamerikanischem Mainstream-Jazz von Musikern wie Sidney Bechet eroberten sie sich eine Nische für ihre kleine Schallplattenfirma, aber schon bald hörten sie in den Clubs von New York viel aufregendere Töne, und konzentrierten sich ganz auf die Avantgardisten des Bebob wie Thelonious Monk, John Coltrane, Art Blakey und Sonny Rollins. Dabei folgten sie konsequent ihrem eigenen Geschmack und Urteil. „The Band must schwing!“war nach Aussage des Saxophonisten Johnny Griffin ihre einzige Direktive bei den Aufnahmen, zu denen sie den Musikern ansonsten außergewöhnlich viel Freiheiten ließen.

Tatsächlich verbindet neben einem immer präsenten Blues-Feeling der warm pulsierende Swing die frühesten im Film zu hörenden Blue-Note Aufnahmen etwa von Bud Powell mit den ganz aktuellen der Vokalistin Cassandra Wilson. Diesen durchgehenden Groove hat Julian Benedikt in seinem Film gut getroffen. Sein musikalisch, jazziger Schnitt ist es, der „Blue Note“zu mehr macht als einem weiteren Filmportrait mit Interviewschnipseln, vielen historischen Filmausschnitten und Originaltönen.

Wohlgemerkt: All dies ist „Blue Note“, und an den doch recht konventionellen „talking heads“- Aufnahmen von Benedikt selbst merkt man auch, daß wir hier nicht das große Debüt eines meisterlichen Dokumentarfilmers erleben, als das einige Kritiker den Film schon feierten. Aber Benedikt hat gründlich recherchiert, so unterschiedliche Gesprächspartner wie Brigitte Mira (über die goldenen Berliner Zeiten), Taj Mahal, und Carlos Santana befragt, und er war auch so pfiffig, ausgerechnet eine japanische Pianistin als zeitgenössisches Talent (und einzige nicht afroamerikanische Musikerin des ganzen Films) in der „Blue Note“-Tradition vorzustellen.

Aber in erster Linie stand ihm das immense und extrem gute Material aus den Archiven von „Blue Note“zur Verfügung. Nicht nur all die legendären Recordings von Dexter Gordon, Herbie Hancock, Horace Silver, Jimmie Smith usw., sondern auch viele gefilmte Konzertaufnahmen, und so sieht man neben Coltrane und Bud Powell auch den Schweiß von Monk aufs Piano tropfen. Besonders bestechend sind aber all die wunderbaren Schwarzweiß-Fotos von Frank Wolff selbst, denn dieser war nebenbei auch ein begnadeter Por-traitphotograph, der bei allen wichtigen Sessions den Musikern mit seinem Blitzlicht auf die Nerven ging. Dazu kommen noch die graphisch so originellen und verführerisch schönen Plattencover von Reid Miles. Man müßte schon ein sehr tölpeliger Filmemacher sein, um aus diesem Material keinen schicken Film mit Schwing zu machen, der nebenbei (ganz wie es der Untertitel verspricht) eine Geschichte des modernen Jazz erzählt. Wilfried Hippen

Kino 46 Do. Sa. u. So. 20.30 Uhr, Fr. u. Sa. 22.30 Uhr, Mo.Di. u. Mi. 18.30 Uhr, danach in der Schauburg