Gutachtertheater, zweiter Akt

Teil 2 des Gutachtens zur neuen Förderstruktur der kleineren Privattheater und der Off-Bühnen liegt vor. Mischung von falschen Urteilen und pragmatischen Vorschlägen  ■ Von Hartmut Krug

Vor drei Monaten schrien drei von sieben Privattheatern laut auf, die vier anderen schwiegen vornehm und zufrieden: Drei Monate war der einstige Heidelberger Intendant Peter Stoltzenberg durch die Berliner Privattheaterlandschaft gehuscht, hatte sich angeschaut, was er gerade mal zu sehen bekam, und verfaßte dann im Auftrag von Kultursenator Radunski (CDU) ein Gutachten.

Das Gutachten brauchte Peter Radunski. Er muß einem Passus in den Koalitionsvereinbarungen genügen, der im Theaterbereich strukturelle Reformen verlangt. „Für kleine und mittlere Privattheater sowie für freie Gruppen ist eine neue Förderstruktur zu erarbeiten, die die Durchlässigkeit in den Förderarten ermöglicht“, heißt es da. Was bedeutet: gleiches Recht für alle. Private wie freie Gruppen müssen sich einer künstlerischen Überprüfung unterziehen, bevor und wenn sie Unterstützung bekommen.

Doch dieses Gutachten ist gar keines. Was Stoltzenberg ablieferte, waren einige ungeordnete Beobachtungen aus der Privattheaterlandschaft. Die Fehleinschätzungen, Ungereimtheiten und Vorurteile häufen sich auf zwölf Seiten, so daß nicht nur die betroffenen Theater aufschrien, sondern auch die Theatergemeinde auf sechs eng bedruckten Seiten eine profunde Gegeneinschätzung lieferte.

Nun muß die Schlußfolgerung des Gutachters, nämlich die Tribüne, die Vaganten-Bühne und die Berliner Kammerspiele nicht weiter institutionell zu fördern, ja gar nicht falsch sein. Das Problem sind die Kriterien: denn die gibt es nicht. Genausogut hätte man das Schloßparktheater, das Hansa- Theater oder das Kleine Theater am Südwestkorso aus der Förderung kippen können. Stoltzenberg ist stolz darauf, keine eigene Konzeption zu haben. Also wird unter der vagen Prämisse „Um besonders gut zu sein, muß man etwas Besonderes sein“ mal der Spielplan, mal die Auslastung, mal die Kiezverbundenheit, nie aber die künstlerische Qualität der Theater als Bewertungsmaßstab herangezogen. Das einzige, was uneingeschränkt zu begrüßen ist: Es soll in Zukunft keinen Förderautomatismus geben, sondern nur eine vierjährige „Konzeptförderung“ mit Verlängerungsmöglichkeit.

Teil 2 des sogenannten Gutachtens, gestern nachgeliefert, widmet sich nun einem Teil der freien Szene. Auch hier ohne rechte Begründung, aber im sicheren Strom der öffentlichen kulturpolitischen Meinung schwimmend, werden die Neuköllner Oper, das theater 89, Jo Fabian und Sasha Waltz als Aufsteiger der freien Szene in die Konzeptförderung vorgeschlagen. Alle anderen bisher mit dreijähriger Optionsförderung gesicherten Gruppen werden mit einer Ausnahme nicht mehr erwähnt.

Nun gut, eine Reform, die etwas ändern will, muß weh tun. Doch was wieder fehlt, ist das kulturpolitische Konzept, das in vorhandene Theaterstrukturen wirklich eingreift. Eine Reform soll ja auch deshalb weh tun, weil sie heilen und bessern soll. Bisher wurde in Berlin mit über 23 Millionen Mark viel mittelmäßiges privates und freies Theater gefördert. Die überfällige Bestandsaufnahme der Szene, ihrer Trends, Absichten, aber auch ihrer Notwendigkeiten, ihrer kulturpolitischen und künstlerischen Bedeutung, sie fehlt wieder.

Das vorliegende Papier ist ein Verwaltungsgutachten. Hier soll das Bestehende redlich gesichert werden, einen innovativen Geist findet man in den dürren Floskeln des Papiers nicht. Und die vielen Vorschläge, die die freie Szene in zahlreichen Diskussionen und Versammlungen zu Papier und der Öffentlichkeit zu Gehör gebracht hat, sie wirken wie nie formuliert. Das neue Förderkonzept ist – nur geringfügig modifiziert – das alte.

Für die Projektförderung soll es erneut einen fünfköpfigen, drei Jahre amtierenden Beirat geben, der vorgeschlagen werden soll vom Senator, dem Deutschen Bühnenverein, dem Deutschen Kinder- und Jugendtheaterzentrum und von den Theatern (letztere dürfen zwei Kandidaten vorschlagen). Die großen Entscheidungen allerdings soll ein Gutachter fällen. Der Verdacht liegt nahe, daß es sich wiederum um Herrn Stoltzenberg handeln wird.

Der wichtigste Satz des Gutachtens ist sein letzter: „Es geht um den Beginn eines Prozesses.“ Wenn diese Stoltzenberg-Papiere nicht als Gutachten mißverstanden, sondern als Ausgangsmaterial einer Diskussion benutzt werden, dann könnte aus der Mischung von falschen Urteilen und pragmatischen Vorschlägen doch noch ein Anstoß ausgehen. Denn über das Wichtigste schweigen sich beide Papiere beredt aus: über Geld und Inhalte, über Kunst und Können und über das Theater des 21. Jahrhunderts.

Der Autor war jahrelang Mitglied des Beirats für Freie Gruppen der darstellenden Kunst