Kommunen: Flüchtlingen droht „Leidenserhöhung“

■ Deutscher Städtetag nennt Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetz nicht praktikabel

Bonn/Berlin (taz) – Kirchen und Wohlfahrtsverbände erhalten von unerwarteter Seite Unterstützung für ihren Protest gegen die geplante Streichung von Sozialleistungen für Flüchtlinge. Bei der gestrigen Expertenanhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag kritisierte auch der Deutsche Städtetag als Vertreter der Kommunen die Gesetzesnovelle.

Der Städtetag sieht „schwere Probleme auf die Sozialbehörden zukommen“, falls der vorliegende Entwurf beschlossen wird, erklärte Gertrud Witte von dem Verband. Es bestehe „die Gefahr, daß die Städte von einer sozial engagierten Öffentlichkeit als inhuman und ausländerfeindlich angesehen werden, wenn sie das Gesetz anwenden“. Zudem sei „das Vorhaben nicht praktikabel“, sagte Witte. Die Einwände der Kommunen haben besonderes Gewicht, da sie die Regelung umsetzen müßten.

Die Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes schreibt unter anderem vor, daß die örtlichen Sozialämter auf Antrag des Flüchtlings entscheiden, ob er Sozialleistungen weiter erhält. Prinzipiell würde mit dem neuen Gesetz Flüchtlingen die Unterstützung pauschal gestrichen. Rund 600.000 ausreisepflichtige Ausländer wären nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums derzeit davon betroffen. Als Kriterium dafür nennt der Gesetzentwurf die Frage, ob im konkreten Fall staatliche Unterstützung „unabweisbar geboten“ ist. Laut Städtetag ist selbst unter Sozialexperten umstritten, welche Minimalunterstützung die Betroffenen dann noch erhalten könnten: „Eine Gruppe versteht darunter das bereits derzeit Geleistete, eine andere eine Heimfahrkarte und Proviant und eine dritte wiederum eine Kürzung der derzeitigen Leistungen.“

Eine Umstellung von Geld- auf Sachleistungen würde kaum einen Flüchtling zur Heimreise bewegen und stelle für die Städte „einen größeren Verwaltungsaufwand ohne Nutzen“ dar. In Bundesländern, in denen bereits jetzt Sachleistungen in Form von wöchentlichen Lebensmittellieferungen erbracht werden, „ist schwer vorstellbar, wie diese Leistungen noch weiter abgesenkt werden könnten“. Ungewöhnlich sarkastisch für einen kommunalen Spitzenverband heißt es in der Stellungnahme: „In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß mit dem Änderungsgesetz Ausreise- und nicht Leidensbereitschaft oder -erhöhung der Flüchtlinge erreicht werden soll.“

Der Städtetag begrüßte zwar die Intention des Gesetzes, Sozialmißbrauch zu bekämpfen. Es sei aber „zu befürchten, daß das Gesetz insbesondere Kinder, Kranke und Alte treffen wird. Die ,schweren Jungs‘ oder Personen, die von Schlepperbanden ins Land geschleust werden“, könnten sich den Regelungen leicht entziehen. Christian Esser/Patrik Schwarz