Magdeburg wird Spielball Bonner Wahlstrategen

■ Die SPD-Spitze fürchtet nichts so sehr wie den von CDU-Generalsekretär Hintze ersehnten Lagerwahlkampf. Deshalb darf Ministerpräsident Höppner keinesfalls mit der PDS kooperieren

So kann man bestehende Ressentiments auch bestätigen. Daß der Osten vom Westen kolonisiert wurde und die Bewohner der neuen Länder als Deutsche zweiter Klasse gelten, glauben nicht wenige DVU-Wähler in Sachsen- Anhalt. Deshalb haben ja etliche bei der jüngsten Wahl es den Wessis mal zeigen wollen. Wie recht sie damit offenbar hatten, machen die gestern begonnenen Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung in Magdeburg deutlich.

Zerknirscht mußte Ministerpräsident Reinhard Höppner schon am Dienstag einräumen, daß der größte Teil seiner eigenen Fraktion keinerlei Neigung zeigt, mit der CDU zu koalieren. Bau- und Verkehrsminister Jürgen Heyer, der die Aufständischen in der SPD anführt, berichtete von pausenlosen Anrufen, in denen sich SPD- Mitglieder und -Wähler darüber empören, daß die SPD nun ausgerechnet die größten Verlierer der Wahl in die Landesregierung hieven will. Er fragt ziemlich unverblümt: Was spricht eigentlich gegen eine Fortsetzung der Tolerierung durch die PDS?

Die Antwort auf diese Frage ist nicht in Sachsen-Anhalt zu finden. Reinhard Höppner, dessen eigene Abneigung gegen die CDU und insbesondere deren Fraktionschef Christoph Bergner landesweit bekannt ist, wurde vom SPD-Spitzenduo Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine mehr oder weniger offen zur Zusammenarbeit mit der CDU vergattert. Nichts fürchtet Schröder mehr, als den Bonner Christdemokraten um Pfarrer Hintze eine Gelegenheit zu bieten, den von ihnen favorisierten Lagerwahlkampf doch noch führen zu können. Auch Rudolf Scharping steht in dieser Frage strikt hinter den beiden Obergenossen. Scharping ist bis heute davon überzeugt, daß Höppner seinen eigenen Wahlkampf vor vier Jahren durch die Bildung seiner Minderheitsregierung empfindlich gestört hat. Nur dadurch konnte die CDU ihrer damaligen Rote-Socken-Kampagne genügend Glaubwürdigkeit verschaffen – zumindest im Westen.

Das soll sich auf keinen Fall wiederholen. Die Bundesspitze der SPD ist von den Erfahrungen 1994 so traumatisiert, daß sie jetzt womöglich den entscheidenden Fehler genau andersherum macht. Die Regierungsbildung in Sachsen- Anhalt droht zu einem echten Ost- West-Konflikt zu werden. Nicht nur Höppner und seine Fraktion, auch viele andere prominente Sozialdemokraten aus den ostdeutschen Ländern bevorzugen eine Tolerierung durch die PDS. Einige sagen es auch. Brandenburgs Sozialministerin Regine Hildebrandt, die Ostministerin schlechthin, meint, „es könne eigentlich nicht sein“, daß die Verlierer von der CDU jetzt mitregieren.

Auch Richard Dewes, Innenminister und SPD-Chef in Thüringen, der die Große Koalition mit der CDU lieber heute als morgen platzen lassen würde, um nach erfolgreichen Neuwahlen eine Koalition mit der PDS zu bilden, warnt verständlicherweise davor, „die PDS auf Dauer auszugrenzen“. Die PDS, findet Dewes, hat sich in den neuen Ländern „in den Normalbestand der demokratischen Parteien“ eingegliedert. Man kann davon ausgehen, daß der SPD-Chef in Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff, der ebenfalls seit langem die CDU gegen die PDS austauschen möchte, das genauso sieht.

Es geht dabei auch nicht nur um machttaktische Erwägungen. Wenn jetzt die CDU versucht, die PDS und die DVU in einem großen Totalitarismustopf zusammenzurühren, stößt sie im Osten lediglich auf Kopfschütteln. Tatsächlich, das weiß in den neuen Ländern auch jeder, ist die PDS ja gerade dabei, trotz ihres linken Images zu einer stinknormalen, sozialdemokratischen Regionalpartei Ost zu werden. Wo soll da noch der Schrecken liegen? Da die CDU weiß, wie sehr die Bonner Genossen eine Kooperation mit der PDS in Sachsen-Anhalt fürchten, kann sie trotz ihres Wahldebakels jetzt sogar noch auftrumpfen.

„Ein Politikwechsel in Magdeburg“ soll es schon sein, damit die CDU bereit ist, sich an einer Landesregierung zu beteiligen, wird im Vorfeld verbreitet. Selbst der Wahlkampfchef der SPD, Franz Müntefering, befürchtet, daß die Bonner CDU ihre gedemütigten Mannen um Bergner ermuntert, sich möglichst widerborstig gegenüber der SPD zu geben.

Das alles hat mit einer Debatte um eine sinnvolle Landespolitik in Sachsen-Anhalt nichts zu tun – das bleibt den WählerInnen im Osten nicht verborgen. Und das könnte die SPD teuer zu stehen kommen. Wenn Schröder nach Kohl in den neuen Ländern auch enttäuscht, könnten der SPD im September dieses Mal die entscheidenen Prozente im Osten verloren gehen. Jürgen Gottschlich