Biodiversität oder Wem gehört die Welt?

Der Schutz der Artenvielfalt wurde bereits bei der UN-Umweltkonferenz in Rio 1992 beschlossen. Internationale Konzerne wollen den Zugang zu natürlichen Ressourcen absichern, die Ursprungsländer verteidigen traditionelle Rechte. Jetzt wird in Bratislava verhandelt  ■ Von Ingrid Spiller

Wenn vom 4.–16. Mai in Bratislava die 4. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitäts- Konvention stattfindet, ist darüber wahrscheinlich nur eine relativ kleine eingeschworene Gemeinde informiert. Das sind jene, die sich von Berufs wegen ohnehin damit beschäftigen, und die, die sich trotz der komplexen und komplizierten Materie nicht abschrecken lassen. Dabei geht es thematisch, salopp gesagt, um die Vielfalt des Lebens auf der Erde schlechthin.

Jeden Tag verschwinden nach groben Schätzungen zwischen 70 und 300 Tier- und Pflanzenarten für immer von der Erde. In dem Maß, in dem Monokulturen und Übernutzung der natürlichen Ressourcen, Zerstörung, Degradierung und Fragmentierung von Ökosystemen voranschreiten, nimmt die Artenvielfalt dramatisch ab. Auf der großen UN-Umweltkonferenz 1992 in Rio wurde deshalb eine Konvention zum Erhalt der biologischen Vielfalt verabschiedet, die bis heute von etwa 160 Staaten ratifiziert wurde. In Bratislava findet nun die vierte einer Reihe von Vertragsstaatenkonferenzen statt, die Details der Biodiversitäts-Konvention erarbeiten. Vorläuferkonferenzen gab es 1994 auf den Bahamas, 1995 in Jakarta und 1996 in Buenos Aires. Es geht vor allem um Fragen des Technologie- und Finanztransfers, des Zugangs zu genetischen Ressourcen und die gerechte Aufteilung wirtschaftlicher Profite. In Bratislava müssen erstmals alle Vertragsstaaten Berichte über die nationale Implementierung der Konvention vorlegen.

Seit gentechnisch veränderte Pflanzen auf breiter Basis in der Landwirtschaft eingesetzt werden, schreitet auch die privatrechtliche Absicherung für technologische Innovationen und gentechnisch veränderte Organismen schnell voran. Rohstoff findet die Gentechnologie in der genetischen Vielfalt, die vor allem in den Tropenregionen auftritt. Forschung und Industrie jedoch sind überwiegend in den wirtschaftlich und technologisch hoch entwickelten Ländern des Nordens beheimatet. Es gibt also vielfältige Interessen, das Verhältnis beider Bereiche international zu regeln. Verhandlungspartner sind u.a. die multinationalen Konzerne, die Zugang zu den genetischen Ressourcen haben wollen, die Regierungen der Länder des Südens, die einen finanziellen Ausgleich dafür erwarten, die lokalen Industrien, die im Ausgleich auf einen Technologietransfer hoffen. Innerhalb der Gruppe der bäuerlichen und indigenen Gemeinschaften und deren Fürsprechern erwarten einige einen finanziellen Ausgleich, während andere aufgrund ihrer Kritik an den Biotechnologien eine kommerzielle Zugangsregelung ganz ablehnen. So vielfältig wie die Akteure sind auch die Positionen, die nicht immer klar abgegrenzt werden können.

Die Biodiversitäts-Konvention verbindet in ihren Zielen erstmalig den Schutz der gesamten biologischen Vielfalt mit deren nachhaltiger Nutzung. Ausgehend vom Recht auf souveräne Nutzung der nationalen Ressourcen, das in der Biodiversitäts-Konvention festgeschrieben wurde, sollen einerseits Vertragsstaaten anderen Vertragsparteien einen angemessenen Zugang zu ihren genetischen Ressourcen ermöglichen. Hier sind natürlich vor allem die Süd-Länder gemeint, auf deren Territorium ein Großteil der biologischen Vielfalt beheimatet ist. Gleichzeitig sollen einschlägige Technologien (insbesondere auch Biotechnologien) anderen Vertragsstaaten zugänglich gemacht werden, um eine nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt zu ermöglichen. Dies richtet sich vor allem an die Adresse der Industrieländer. Viele Entwicklungsländer sehen durch die Biodiversitäts-Konvention die einzigartige Chance, die Beziehungen zu den wirtschaftlich und technologisch starken Ländern des Nordens neu zu bestimmen.

Die weltweite Vielfalt der Pflanzengene ist zur wirtschaftlich interessanten Ressource für die Biotechnologie geworden. Vor allem Pharma-, Agro- und Kosmetikindustrie haben großes Interesse am ungehinderten Zugang, und zwar sowohl in situ, d. h. vor Ort, als auch ex situ (ortsunabhängig in Genbanken, botanischen Gärten etc.). Während jedoch bisher alles Genmaterial als frei zugängliches „Erbe der Menschheit“ behandelt wurde, gelten für gentechnisch veränderte Mikroorganismen geistige Eigentumsrechte“. Mit Patent- und Sortenschutzrechten sichern sich wenige Konzerne, die einen Großteil der Forschung bestreiten, das Monopol an der Vermarktung neu gezüchteter bzw. gentechnisch produzierter Sorten. Diese wurden 1994 in der Uruguayrunde des GATT (Internationales Handelsabkommen, inzwischen Welthandelsorganisation WTO) in den TRIPs (Trade-Related Intellectual Property Rights) international verbindlich festgeschrieben. Darin werden alle Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, in den nächsten Jahren Patentrechte für sämtliche technologischen Innovationen und gentechnisch veränderten Mikroorganismen einzuführen. Für die Bäuerin in Brasilien kann dies bedeuten, daß sie sich zukünftig strafbar macht, wenn sie ihr Saatgut aus der letzten Ernte zurückbehält und aussät, ohne Patentgebühren zu bezahlen.

Geistige Eigentumsrechte für Saatgut und Pflanzenmaterial sind schwierig abzugrenzen, da die genetischen Resssourcen für gentechnisch verändertes bzw. hergestelltes Material durch jahrhundertelange Innovation und Selektion von Bäuerinnen und Bauern entstanden sind. In der Präambel der TRIPs wird ausdrücklich erwähnt, daß geistige Eigentumsrechte private Rechte sind. Damit hat sich auf ganzer Linie das westliche Rechtsverständnis durchgesetzt, nach dem geistiges Eigentum nur als individueller Interessenschutz, also für eine natürliche oder eine juristische Person, gesichert werden kann. Dem Begriff des kollektiven geistigen Eigentums, wie ihn die indigenen Gesellschaften kennen, wird auf dieser Ebene keine Rechnung getragen. Auf diesem kollektiven und häufig nur in mündlicher Überlieferung verfügbaren Wissen beruht jedoch ein ebenso systematisch organisierter und dynamischer Forschungsprozeß wie der eines modernen Forschungslabors.

Um die nicht gewerblich anwendbaren Leistungen der indigenen Völker und bäuerlichen Gemeinschaften zu schützen, hat die UN-Konvention von Rio ausdrücklich internationalen Handlungsbedarf anerkannt. Die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) hat die Beiträge der indigenen und bäuerlichen Gemeinschaften durch das rechtlich nicht bindende „International Undertaking for Plant Genetic Resources“ anerkannt. Über die „Farmers Rights“ soll den Leistungen der lokalen bäuerlichen Gemeinschaften Rechnung getragen werden. Die genaue Gestaltung – etwa die Frage, wie ein entsprechender Fonds finanziert werden kann und wem diese Gelder zugute kommen sollen – steht allerdings noch aus, ebenso eine völkerrechtlich verbindliche Festschreibung.

Wie schon erwähnt, gibt es neben den Positionen, die eine grundsätzliche Verrechtlichung der Genressourcen befürworten, sich aber in Fragen der Bewertung und Verteilungsgerechtigkeit noch nicht einigen konnten, auch andere Stimmen, die eine Eigentumsregelung genetischer Ressourcen prinzipiell ablehnen. Hierzu zählen Ökofeministinnen wie Vandana Shiva, die bezweifeln, daß sich der Erhalt der Biodiversität und ihre profitorientierte Nutzung in Einklang bringen lassen.

In Anbetracht der Komplexität des Themas ist es zwar bedauerlich, aber nicht verwunderlich, wenn viele es längst aufgegeben haben, dem internationalen Verhandlungsmarathon zu folgen, zumal die Fragen, die uns am unmittelbarsten betreffen, schon lange von der Wirklichkeit überholt sind: Muß ich nun Gen-Tomaten essen oder nicht?