■ Nur wenige neue Substanzen kommen als Medikament in den Handel. Die meisten werden vorher aussortiert
: Der Nachschub aus dem Meer ist nicht unbegrenzt

In den USA wird zur Zeit ein Stoff aus Meerestieren auf seine krebshemmende Wirkung an PatientInnen mit Haut-, Lymph- oder Nierenkrebs getestet. Bryostatin, so der Name der Substanz, wird von dem Moostierchen Bugula neritina produziert. Moostierchen leben, festgeklebt auf dem Meeresboden, in Kolonien, die aussehen wie Heidekraut.

Es hat lange gedauert von der Entdeckung, daß diese Tiere einen Stoff enthalten, der möglicherweise gegen Krebs wirkt, bis zur klinischen Prüfung des Bryostatins. Bereits im Juni 1968 wurde das erste Mal Bugula neritina an der Küste Floridas eingesammelt, um die Wirkung von Stoffen aus Meerestieren auf Krebs zu untersuchen. Robert Pettit, Professor an der Universität des US-Staates Arizona, entdeckte, daß etwas in den Moostierchen eine Kultur von Leukämiezellen am Wachstum hinderte. Mitte 1972 wurde die Forschung eingestellt, da der Stoff instabil zu sein schien. Die Forscher wandten sich anderen Substanzen zu, die eine bessere Wirkung versprachen. Vier Jahre später sammelte Pettit erneut Bugula neritina. Er nahm die Forschung wieder auf. Entgegen der ursprünglichen Annahme war die noch unbekannte Substanz doch stabil.

1981 gelang es der Arbeitsgruppe von Robert Pettit dann, Bryostatin zu isolieren. Es folgten zahlreiche Tests, um herauszufinden, wie Bryostatin gegen Krebs wirkt. Aufgrund der Ergebnisse entschied das National Cancer Institute, eine großangelegte Sammlung der Tiere zu unterstützen. Es sollte genug Bryostatin gewonnen werden, um damit die klinischen Prüfungen der Phase I und II bestreiten zu können. Das bedeutete ausreichend Wirkstoff für ungefähr 200 PatientInnen. 13.000 Kilogramm Moostierchen mußten eingesammelt werden, um daraus 18 Gramm Bryostatin zu isolieren. Diese Menge war für die klinischen Prüfungen notwendig. Sollte es jedoch als Medikament anerkannt werden, müßten noch weitaus größere Mengen verfügbar sein.

Ein grundsätzliches Dilemma bei Heilstoffen aus Meereslebewesen: Um ausreichend Wirkstoff zu erhalten, müßten sehr viele Tiere oder Algen aus ihrem Lebensraum gerissen werden. Für die Produktion von Bryostatin beauftragte das National Cancer Institute daher Anfang der Neunziger die kleine Firma CalBioMarine Technologies, ein System zur Aquakultur von Bugula neritina zu entwickeln.

Inzwischen gelingt es, aus den Larven der Tiere ausgewachsene Kolonien zu züchten. Wenn Bryostatin jetzt als Medikament anerkannt wird, ist es nicht mehr notwendig, freilebende Tiere zu verarbeiten. Bis dahin muß Bryostatin aber noch die Phase III der klinischen Prüfung mit mehr als 1.000 ProbandInnen bestehen. Ist das Ergebnis positiv, entscheidet die Food and Drug Administration (FDA) über eine Zulassung als Arzneimittel.

Zehn Jahre dauert im Schnitt die Entwicklung eines neuen Medikaments. Von 5.000 eingehender untersuchten Substanzen kommen lediglich 5 in die Phase, am Menschen getestet zu werden. Und nur ein Medikament wird schließlich zugelassen. So verheißungsvoll die neuen Wirkstoffe aus dem Meer auch sind, es wird ein langer Weg sein von der ersten Entdeckung bis zum fertigen Präparat. jow