Ähnlichkeiten? -betr.: "Dumpfes Gefühl", taz-Hamburg vom 17.4.98 und Leserbrief, taz-Hamburg vom 23.4.98

Der Herausgeber von Das Rätsel des Judentums und andere AnthroposophInnen verteidigen die Neuauflage dieses Buches gerne mit zwei besonders haarsträubenden „Argumenten“:

1. Der Verfasser, Ludwig Thieben, sei gebürtiger Jude und habe selbst unter der Verfolgung durch die Nazis gelitten, daher könnten seine Äußerungen unmöglich antisemitisch sein.

2. Diskriminierende Äußerungen wie jene im Buch seien zunächst einmal „Meinungsäußerungen“und nicht antisemitisch zu verstehen, denn sie kämen ja nicht „haßerfüllt“daher.

Dazu folgendes:

Zu 1. Es ist paternalistisch, einem Menschen, der in einen jüdischen Kontext hineingeboren wurde und sich daraus aus eigener Entscheidung löste, nicht den Bruch mit seiner Herkunft zuzugestehen. Thieben vollzog diesen Bruch und wurde Anthroposoph. In seiner aggressiv-missionarischen Schrift Das Rätsel des Judentums von 1931 schlägt er eindeutig völkische Töne an und verwendet Begriffe wie „Rasse“und „jüdische Blutsveranlagung“, als seien sie Tatsachen. Daß er selbst 1938 vor den Nazis fliehen und sich verstecken mußte, ist tragisch, aber ändert den Sachverhalt nicht: Thiebens Buch enthält antisemitische Propaganda zugunsten der Anthroposophie.

Zu 2. „Moderne“Antisemiten glauben häufiger, daß sie eher ernst genommen werden, wenn sie ruhig und besonnen ihre Inhalte vertreten, die sie – ebenfalls – verharmlosend „Meinungen“nennen. Eine Spielart dieser Klientel sind die Holocaust-Leugner, die sich gerne mit pseudowissenschaftlicher Seriosität bemänteln. Die Ähnlichkeiten in Form und Inhalt geben zu denken.

Robert Levin, Mitglied des Auschwitz-Komitees in der Bundesrepublik Deutschland