Nur begrenzt amerikanisch

Wie in den USA helfen in einigen Supermärkten neuerdings schnelle und billige „Caddys“ den KundInnen beim Einpacken – allerdings mit Kündigungsschutz und Urlaubsgeld  ■ Von Hannes Koch

Die Hände hält er artig hinter dem Rücken verschränkt. Sein Blick schweift über die Kassen des Supermarktes. Dann tritt Björn Schneider auf eine Kundin zu und fragt eilfertig: „Entschuldigung, darf ich Ihnen helfen?“ Die alte Dame weiß nicht recht. Was will der Jüngling im gelben T-Shirt? Ihr Geld, ihren Käse, gar das Schnitzel? Als die gestandene Berlinerin versteht, daß es um das Einpacken ihres persönlichen Einkaufs in ihren praktischen Taschenwagen geht, wehrt sie ab. Nein, das mache sie schon selbst.

Der amerikanische Traum ist wieder einmal bei uns angekommen. Diesmal als Symbol der Dienstleistungsgesellschaft: Im Reichelt-Supermarkt an der Knesebeckstraße helfen sogenannte Caddys beim Packen der Tüten. Die SchülerInnen sind freundlich, flink und flexibel. Wer es wünscht, läßt sich Bier und Wurst zum Auto tragen. Auch Hausbesuche bei älterer Kundschaft werden kostenlos arrangiert.

Auf den neuen Service reagieren viele KundInnen jedoch widerspenstig, oftmals verstört, mehrheitlich jedenfalls mit Erstaunen. Die alte Dame kann sich nicht vorstellen, daß der schlaksige 19jährige zunächst die Dosen in ihre Tasche packt – und dann erst die quetschgefährdeten Lebensmittel. „Auf die Tomaten muß man aufpassen“, erklärt die Frau, wobei nicht deutlich wird, ob sie aus eigener Erfahrung spricht.

Besonders ältere Herrschaften, die Generation der Trümmerfrauen und Soldaten, beharrten darauf, ihre Packarbeit selbst zu erledigen, weiß Björn Schneider. Ganz anders beim jungem Gemüse: ein schäkernder Blick, ein kokettes „Warum nicht?“ herab von der Plateausohle lassen das Herz des Caddys höher schlagen. Jeder zweite Kunde ungefähr willigt ein – manche mit dem weltläufigen Hinweis, daß im vergangenen Winter ihnen ein Tüteneinpacker in Boulder, Colorado, geholfen habe, die Ski auf den Van zu hieven. Sechs Stunden in der Woche flitzt Schneider um die Kassen herum und schiebt auch schon mal einen verwaisten Wagen zurück in die Schlange. Dafür bekommt er etwa 13 Mark pro Stunde, was sich zu einer dringend notwendigen Taschengeldaufbesserung von knapp 400 Mark im Monat summiert. Der Abiturient besucht das Oberstufenzentrum Recht in Charlottenburg, wo viele Kinder reicher Eltern ihre Rechtsanwaltskarriere starten wollen. „Man braucht fett Geld für Urlaub und Partys“, weiß der Jobber. Reichelt hat als Caddys nur Schüler wie ihn eingestellt – in der Knesebeckstraße fünf an der Zahl.

Für die Firma sind die Caddys billige Arbeitskräfte, weil sie nur die wenigen Stunden kommen, in denen sie gebraucht werden: in der Regel von 18 bis 20 Uhr täglich oder am Samstagvormittag. Trotzdem hat das Beschäftigungsverhältnis nur wenig mit dem gemein, was Deregulierungsideologen gerne aus der neuen Dienstleistungswelt berichten.

In sieben Reichelt-Filialen wurden die Caddys in die normalen Gehaltsstufen der anderen MitarbeiterInnen eingruppiert und bekommen anteiligen Lohn zuzüglich Urlaubsgeld. Und wenn Björn Schneider nach seinem Zivildienst wieder anfangen möchte, muß Reichelt ihn wieder einstellen, denn er hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit Kündigungsschutz in der Tasche. Etwas arbeitnehmerfeindlicher geht es bei Kaiser's zu. Diese Kette leiht sich passende Packer bei einer Agentur aus. Die Folge: Der Lohn fällt geringer aus, weil die Vermittlungsfirma noch ein paar Mark in die eigene Tasche steckt.

Eine Rettung für Arbeitslose ist die neuartige Beschäftigung freilich nicht. Denn die Einzelhändler bieten Nebenjobs ausschließlich dem dienenden Jungvolk. Katzbuckelnde Ex-Bankangestellte – 45 Jahre und durch Arbeitslosigkeit zum Billigjob gezwungen – würden vom Kunden wohl noch als Sakrileg empfunden.

Die Filiale in der Knesebeckstraße soll etwas Besonderes sein. Ein Info-Counter, gigantisches Angebot und großzügige Einrichtung locken vor allem wohlhabendes Publikum. Auch der Caddy- Service befriedigt gehobene Ansprüche, weshalb Reichelt derartige Bequemlichkeiten in armen Stadtteilen erst gar nicht anbietet.

Eine Minderheit der Kundschaft ist schon gewohnt, zu befehlen. Da ruft ein glatzköpfiger Schrank Björn Schneider mit kolonialer Kopfbewegung herbei. Dicke Portemonnaies sind aber auch gut für die Caddys: Sechs bis zehn Mark Trinkgeld kommen pro Stunde zusammen. Frauen mit Kindern, so die Erfahrung, geben allerdings kaum etwas. Vermutlich sind sie zur sehr im Streß.