Sag mir, wo die Räder sind

■ Viele Räder werden gestohlen, weil ihre Besitzer zu sorglos sind. Das Böse aber ist immer und überall und häufig bestens ausgerüstet. Die wirkungsvolle Diebstahlsicherung beginnt im Kopf

Das größte Manko ist der Radfahrer selbst, wie die Polizei oftmals bestätigt. Viele Radler lassen ihr Rad unabgeschlossen stehen, wenn sie „nur einmal kurz“ in das Schreibwarengeschäft springen. Andere ketten lediglich das Vorderrad an oder schieben nur eine Wegfahrsperre durch die Speichen, so daß der Dieb das Rad einfach wegtragen kann. Experten meinen deshalb, daß anstatt einer Versicherung Vernunft und Vorsichtsregeln verkauft werden sollten. Die wenigsten Radler sind sich bewußt, wie Diebe vorgehen, welche Werkzeuge sie besitzen und wo sie arbeiten. Zwar gibt es letztlich keinen perfekten Schutz gegen sie, doch derartiges Wissen sowie eine gute Sicherung des Rades können entscheidend dazu beitragen, länger Freude am Traumrad zu haben.

Viele Gelegenheiten machen Diebe

Unter den vier verschiedenen Diebesgattungen ist zuerst der Gelegenheitsdieb zu nennen. Auf dem Heimweg vom Kino oder von der Kneipe fällt ihm ein ungesichertes Fahrrad ins Auge. Er nutzt die Gelegenheit und kommt so schneller nach Hause. Sobald er das Rad nicht mehr braucht, läßt er es irgendwo stehen oder verschenkt es sogar. Mit deutlich mehr Kalkül geht „der Junkie“ ans Werk. Das Bike ist ideal für seine Beschaffungskriminalität: hohe Nachfrage und geringes Risiko bei breitem Angebot und schnellem Umsatz. Die billigen Schlösser aus dem Supermarkt stellen für ihn kein Hindernis dar. Berüchtigt ist der Junkie für seine guten Schwarzmarktkontakte. Dadurch kann er die Räder schnell verkaufen, nicht selten sind sie nur einige Stunden nach der Tat bereits in einer anderen Stadt.

Oftmals unterschätzt wird die Gruppe der Bike-Kids. Unter ihnen gelten Edel-MTBs als Prestigeobjekte. Viele können jedoch beim Velo-Wettrüsten nicht mithalten. Zwar besitzen die Jugendlichen kein gutes Werkzeug und kennen auch keine Dealer, doch sie verfügen über Fachkenntnisse. Abschließend die Profis: Sie haben sich auf den Diebstahl von Fahrrädern spezialisiert und bestreiten damit ihren Lebensunterhalt. Bestens ausgerüstet schrecken sie auch vor hohem technischen Aufwand nicht zurück. Mit dem Umgang von Hydraulik-Bolzenschneidern, Akku-Winkelschleifern und Fahrradspezialwerkzeugen sind sie genaustens vertraut. Sie klauen Bikes massenweise, verschieben sie national und international, sie lackieren um, setzen die Räder neu zusammen. Bestellungsklau ist keine Seltenheit.

Selbst Garagentore, Haustüren, härteste Schlösser und Alarmanlagen bieten keinen langfristigen Schutz gegen die professionellen Fahrraddiebe. Nur wenige U-Bügel halten diese Diebesgattung auf. Daß die U-Locks immerhin unter all den Schloßangeboten die widerstandsfähigsten sind, teilte kürzlich auch mal wieder Stiftung Warentest mit, die sie „generell als stärkste Typen“ wertete (test 3/98). Sicherheit allerdings ist auch hier nicht mit Schnäppchen und billigen Fernost-Produkten zu haben. Als Faustregel gilt: Mindestens zehn Prozent des Kaufpreises des gesamten Rades sollte in den Diebstahlschutz investiert werden.

Doch ein gutes Schloß alleine hilft noch nicht. Man muß es auch richtig anwenden, also das Rad damit immer an einem festen Gegenstand anschließen. Massive Zaunpfähle, Gartentore und Laternen sind optimal. Vermeiden Sie dabei Zwischenräume im U-Bügel. Sobald genügend Raum innerhalb des Bügels ist, kann man einen Wagenheber einsetzen, der das Schloß sprengt. Passen Sie zudem auf, daß der U-Bügel nicht zu nahe am Boden schließt. Ansonsten können Diebe bequem mit einem Hammer arbeiten. Auch sollten Sie so abschließen, daß der Schließmechanismus nach unten zeigt – so ist er schwerer zugänglich. Wer ganz sichergehen will, kombiniert zwei verschiedene Schloßtypen (etwa U-Bügel und Stahlseil). So können nur Diebe, die für beide Schloßtypen präpariert sind, ihr Glück versuchen.

Lieber vor der Kneipe als vorm Kino

Doch es gibt noch weitere Tricks, die Ganoven fernhalten: So kann bereits der Abstellplatz über das Schicksal des Rades entscheiden. Niemals sollte es an Orten abgestellt werden, die anzeigen, wie lange das Rad unbeobachtet ist. Steht das Rad etwa vorm Kino, können sich Diebe sicher sein, daß bis zum Ende der Vorstellung der Besitzer nicht erscheinen wird. Besser das Rad vor der nächsten Kneipe anketten. Suchen Sie einen Ort, der belebt und beleuchtet ist. Wenn Ihr Rad in der Menge steht, arbeiten Diebe wie auf einer Bühne. Völlig tabu ist das nächtliche Parken unter freiem Himmel.

Selbst im Haus, der Garage oder im Auto ist es ratsam, das Rad anzuschließen. Pendler, die täglich zur Arbeit fahren, sollten wechselnde Plätze aufsuchen. Neben dem ganzen Rad sind auch einzelne Teile in Gefahr. Vor allem Laufräder und Sattel. Schnellspanner machen sie zur leichten Beute für jeden Langfinger. Es gibt jedoch Schnellspanner mit Schloß oder spezielle Schrauben („Pitlock“), die anstelle des Hebels montiert werden. Eine einfache Rohrschelle kann den Schnellspannhebel ebenfalls fest am Rahmen oder der Gabel fixieren.

Eingefleischte Biker schwören auf den Schutz aus der eigenen Werkstatt. Sie verwenden seltene Schraubengrößen: etwa einen Vorbauklemmbolzen mit einer Inbusausführung in sieben Millimetern oder sogenannte „Torx“- Schrauben an den Cantilever- Bremsen und der Schaltung. Obendrein verkleben sie Gewinde mit Schraubensicherung. Zu empfehlen ist besonders die Schraubensicherung der Firma Loc Tite. Diese ist in drei Festigkeitsabstufungen erhältlich. Doch Vorsicht: Der Schuß kann auch nach hinten losgehen. Wenn man selber nicht über das entsprechende Werkzeug verfügt, werden Reparaturen unmöglich! Auch von den Fahrradkurieren kann man unter Umständen lernen. Die verdecken den Wert des Rades. Ein wenig Dreck reicht dazu schon.

Besser ist es, alle Firmenlogos auf Rahmen, Gabel und Komponenten abzukratzen, zu übermalen oder abzutapen. Kuriere gehen soweit, den kompletten Rahmen ihres Rades mit Gewebeband zu umwickeln. Übrigens schützt das auch den Lack und erhöht so den Wiederverkaufswert. Auch schrauben die Fahrradboten alle nicht benötigten Anbauteile ab, so können die nicht mehr geklaut werden.

Anstatt sein Rad anzuschließen, warum nicht einfach mitnehmen? Sport- und Fahrradläden haben kaum Einwände, wenn man das Rad reinrollt, anderswo bedarf es meist einer kleinen Erklärung.

Aber warum dieser ganze Aufwand, ist das gute Stück nicht versichert? Genau das ist es: Versicherungen haben häufig für die Radsicherheit einen gegenteiligen Effekt. Wer eine Diebstahlversicherung abgeschlossen hat, neigt zum Laisser-faire. Da im übrigen häufig nicht der volle Wiederbeschaffungswert entschädigt wird und manchmal gar nichts (weil zum Beispiel nicht nachgewiesen werden kann, daß das Rad zwischen 22 und 6 Uhr noch in Gebrauch oder in einem verschlossenen Raum war), kann keine Versicherung der Welt vernünftiges Anschließen plus andere Maßnahmen ersetzen. Stiftung Warentest hält insofern eine spezielle Fahrradversicherung für „Luxus“, der allenfalls für besonders teure Modelle in Betracht käme. Ansonsten rät sie: „Wer unbedingt eine Versicherung wünscht, fährt am günstigsten über die Hausratpolice, wenn er einen solchen Vertrag ohnehin braucht“ (test 4/98).

Erst codieren und dann fotografieren

Beachtliche Erfolge bringen offensichtlich in vielen Orten die Codierungsaktionen. Dabei wird ein Mix aus Zahlen und Buchstaben ins Rahmenrohr geprägt, der recht schnell den wahren Besitzer des Rades offenbart. In Bergisch Gladbach konnte die Polizei damit schon 1994 die Diebstahlrate um 17 Prozent drücken. Gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote von vormals 6,6 Prozent auf 14,5 Prozent. Mittlerweile arbeiten mehr als 38 Dienststellen an der nationalen Einführung des Codesystems, viele Fahrradgeschäfte haben sich ebenfalls die Graviermaschine angeschafft und bieten Codierung zum kundenfreundlichen Preis an. Bisher ungeklärt ist, wie dünnwandige Aluminium- und Stahlrahmen auf das Fräsen am Sitzrohr reagieren. Fachleute melden auch bei Carbonrahmen Bedenken an.

Sollte das Rad dennoch abhanden kommen, ist es viel wert, wenn man es genau benennen kann. Wichtig ist dabei die Rahmennummer unter dem Tretlager. Ein seltenerer Ort für die Numerierung ist das Steuerkopfrohr, das rechte Ausfallende oder das Sitzrohr. Sehr sinnvoll kann auch ein ausführlicher Steckbrief sein, auf dem der Rahmen, alle Anbauteile und die Besonderheiten vermerkt sind, sowie ein Foto des Bikes. Und kommt das Rad nicht zurück, könnte man das Foto dann einrahmen und sich zur Erinnerung an die Wand hängen.

Was aber für viele wahrscheinlich auch kein Trost ist. Gunnar Fehlau