Millionen für die Wahrheit

Mit „Verunglimpfungs“-Prozessen und Strafrechtstricks behindert Kroatiens Regierung Journalisten  ■ Aus Zagreb Barbara Oertel

Neunzehn Jahre lang hatte Bosiljka Perić-Kempf beim kroatischen Radio das Programm für Klassik gemacht. Dann zeigte ihr der Direktor, wo die Musik wirklich spielt: „Wir brauchen Sie hier nicht länger, Sie können gehen.“ Drei Tage vorher hatte die satirische Wochenzeitung Feral Tribune ein Interview mit der Musikjournalistin veröffentlicht.

Unter dem Titel „Terror im Äther“ rechnete Bosiljka Perić- Kempf schonungslos mit ihren Dienstherren ab. Im staatlichen Radio herrschten geradezu militärische Befehlsstrukturen. Können und Berufsethos zählten gar nichts, das Parteibuch der regierenden Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) dafür alles. So würden Journalisten regelrecht in den professionellen Selbstmord getrieben.

Selbstmordgefährdet sieht Bosiljka eigentlich nicht aus. Und auch nicht wie eine, die bereit ist, sich unterzuordnen. Unter ihrer pechschwarzen Mähne blicken zwei stechende Augen angriffslustig in die Runde, während sie erzählt. Den notwendigen Nachdruck verleiht sie ihrer Geschichte schon mit ihrer Körperfülle. „Für den Direktor des Radios bin ich eine Feindin und Verräterin des kroatischen Volkes. Und die Situation wird dort immer schlimmer. Für Profis ist im staatlichen Radio kein Platz. Sie sind gefährlich, vor allem, wenn sie selbständig denken. So gesehen haben sie mir mit meinem Rausschmiß sogar einen Dienst erwiesen“, sagt sie und ballt wütend die Faust.

Heute arbeitet die 51jährige als CD-Produzentin und freie Journalistin. Dankbarer Abnehmer ihrer Musikkritiken und Konzertbesprechungen ist die Tageszeitung Novi List mit Sitz in Rijeka.

Im Gegensatz zu den elektronischen Medien, die fast ausnahmslos unter staatlicher Kontrolle stehen und damit auf Linie des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman sind, haben einige gedruckte Blätter es geschafft, sich ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Mit 80.000 verkauften Exemplaren gehört Novi List zu den bedeutenderen Publikationen.

Jagoda Vukušić, Leiterin des Zagreber Büros des Blattes, hat wie immer wenig Zeit. Kaum hat sie zwei Sätze gesagt, meldet sich eines der vielen Telefone. Wenn die modernen Tastenapparate ausnahmsweise mal schweigen, kommt todsicher jemand in den kleinen Raum gestürzt, um ganz schnell ein Problem zu klären. An mehreren Schreibtischen sitzen vier Mitglieder der jungen Crew hinter Computern, ganz in ihre Texte vertieft, als ob sie gleich in die Geräte hineinkriechen wollten.

Anders als Bosiljka sieht Jagoda Vukušić gesetzt aus und so, als könne sie rein gar nichts aus der Ruhe bringen. „Früher, noch während des Krieges in Kroatien, bekamen wir jeden Tag unzählige Anrufe von Lesern, die uns als Tschetschniks und Verräter beschimpften“, sagt sie und zieht genüßlich an ihrer Zigarette. Der Volkszorn habe sich gelegt, nicht aber die ablehnende Haltung der Mächtigen.

Die Regierung handle nach dem Ausschlußprinzip, um den sogenannten oppositionellen Blättern das Leben schwer zu machen. „Offizielle Informationen von Regierungsseite bekommen wir überhaupt nicht. Wir werden prinzipiell zu keiner Pressekonferenz von Ministern oder HDZ-Vertretern eingeladen.“ Der Verteidigungsminister, der sich nach mehreren vergeblichen Interviewanfragen schließlich doch noch zu einer Antwort durchrang, habe es ganz knapp gemacht und auf die einfache Formel gebracht: „Für euch ein Interview – niemals!“ „Aber wir haben unsere Kanäle“, sagt Jagoda Vukusic und lacht.

Als Vorsitzende der kroatischen Journalistenvereinigung setzt sie sich für eine Strafrechtsreform ein. Seit Jahresbeginn gibt es beispielsweise dort eine neue Vorschrift, nach der Journalisten auch dann wegen „Verunglimpfung“ belangt werden können, wenn sie nachweislich wahre Tatsachen geschrieben haben. „Wir haben ein Pressegesetz. Der Umstand, daß im Strafrecht Bestimmungen über Sanktionen gegen Journalisten enthalten sind, ist untragbar und muß geändert werden“, sagt Jagoda Vukušić.

Nicht zuletzt diese Bestimmungen sind immer wieder das Einfallstor für die Regierung, um gegen unliebsame Publikationen vorzugehen. So sind derzeit 500 Prozesse gegen Journalisten in Kroatien wegen „Diffamierung“ anhängig. Die Wochenzeitung Feral Tribune ist allein an mehr als 60 Prozessen beteiligt und läuft Gefahr, im Fall einer Verurteilung umgerechnet rund drei Millionen US- Dollar Strafe an den kroatischen Staat zahlen zu müssen. Was Chefredakteur Viktor Ivancić kürzlich zu der Feststellung veranlaßte: „Unserem Staatspräsidenten Franjo Tudjman fehlt wirklich jeglicher Humor.“

Zum Lachen war auch Davor Butković nicht zumute, früher Chefredakteur bei der Wochenzeitung Globus und seit kurzem erster Mann des Newcomers Jutarni List (siehe Kasten). Im April 1997 hatte Globus einen Artikel über Korruption in der kroatischen Regierung und Beziehungen von Kabinettsmitgliedern zu kriminellen Gruppierungen veröffentlicht. Der Beitrag hatte sich dabei in wesentlichen Teilen auf eine renommierte US-Wirtschaftsstudie gestützt. 22 Minister und ein Ex-Premier klagten. Vor knapp zwei Wochen wurde der Journalist nun freigesprochen. Zur Begründung sagte der vorsitzende Richter, Globus sei für die zitierten Inhalte der Studie nicht verantwortlich.

„Der Freispruch war ein taktischer Schritt“, sagt ein Journalist in Zagreb. Denn dieser Tage findet in der kroatischen Hauptstadt ein Seminar zum Thema „Europäische Rechtsnormen und Pressefreiheit“ statt, das der Europarat in Zusammenarbeit mit dem kroatischen Außen- und Justizministerium organisiert. Erst vor kurzem hatte der EU-Beauftragte für Kroatien, Per Vinther, den Zustand der Pressefreiheit in Kroatien kritisiert.

„Solange die Regierungspartei HDZ am Ruder sitzt“, sagt Bosiljka Perić-Kempf, „wird sich nichts ändern“ – zumindest nicht bei den staatlich kontrollierten Radio- und Fernsehsendern. Was die Print-Medien betrifft, ist Jagoda Vukušić optimistischer: „Wir nutzen unsere Spielräume.“