Dänische Maikundgebung ohne Bier

Nach einer Woche Streik ist die Lage in Dänemark noch nicht ernst, doch schon bald könnte es kritisch werden. Neuentstandene Tauschbörsen florieren, und es wächst die Hoffnung auf eine Ende des Tarifkonflikts  ■ Aus Kopenhagen Reinhard Wolff

„Wenigstens beim Bier hätten sie ja eine Ausnahme machen können!“ Jens Sörensen hat nicht vorgesorgt und sieht sich um einen geschätzten Bestandteil der 1.-Mai- Feier im Kopenhagener Volkspark gebracht. In diesen Streiktagen ist nichts wie sonst. Beinahe hätte die zentrale Maifeier der Hauptstadt auch auf die Rednertribüne verzichten müssen. Sie konnte nur mit einer Ausnahmegenehmigung der Gewerkschaften aufgebaut werden. „Sind wir jetzt nicht Streikbrecher in eigener Sache?“ hatte Dan Olsen seinen Mitfreiwilligen gefragt, als sie das Podium aufbauten.

In diesen Streiktagen auch noch die Maifeier zu opfern, wäre dann doch zu undänisch gewesen. Wo man doch das Motto von einem „netten, lockeren Streik“ ausgegeben hatte. Wenn auch Parolen wie „Wir wollen Sex, wir wollen Sex!“ – sechs bezahlte Urlaubswochen nämlich – einigen im Kampf um die Rechte des Proletariats ergrauten GenossInnen dann offensichtlich doch etwas zu locker erschienen. „Aber ein wenig lustig soll es schon sein“, meint Metaller-Betriebsrat Sören Hansen. Man versuche ganz bewußt zu „heiße“ Gemüter zu stoppen, keine Fähren, Bahnen und Busse gewaltsam zu blockieren. Die Medien sollte keine Möglichkeit für „Polizeiknüppel-Bilder“ haben. Keine Selbstverständlichkeit im vermeintlich „gemütlichen“ Dänemark, wo es sowohl beim letzten Großstreik 1985 als auch zuletzt beim Busfahrer-Konflikt in Århus 1995 zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen war.

Locker und gemütlich nehmen mittlerweile auch die meisten DänInnen die Folgen des Streiks hin. Die eigenen Hamsterkäufe der ersten Streiktage wurden abgelöst von Geschichten über die Mitbürger, die auch wie verrückt gehamstert haben. Nachdem Mehl, Zucker, Knäckebrot und Nudeln schon lange ausgegangen sind, gingen manche mittlerweile dazu über, auch Gemüse- und Fischkonserven zu horten. „Doch es herrscht zumindest keine Panikstimmung mehr“, konstatiert John Wagner, Vorsitzender der Organisation der Kaufleute.

Auf Kopenhagens Großmarkt konnte am Donnerstag trotz kräftig gesenkter Preise nicht einmal mehr das angebotene Obst und Gemüse abgesetzt werden. „Die Leute haben ganz einfach die Kühltruhen gerammelt voll“, so Marktsprecherin Solveig Andersen. Die ersten Bauern hätten schon ihren Salat unterpflügen müssen, weil er nach der Kaufpanik der ersten Tage nicht mehr abzusetzen war. Hungern muß also trotz Streik vorläufig niemand.

Sollte der Ausstand andauern, könnte sich die Versorgungslage allerdings bald zuspitzen. Jens Juul Nielsen von der Supermarktkette FDB: „In unserem Zentrallager gibt es keine Grundnahrungsmittel mehr und unserer Brotfabrik fehlt das Mehl.“ Am empfindlichsten macht sich schon jetzt der Benzinmangel bemerkbar. Großmärkte auf der grünen Wiese merken deutlich einen Kundenrückgang.

Die Hamsterkäufe haben Tauschbörsen entstehen lassen. Da die meisten Zeitungen nicht erscheinen, spielt sie sich vorwiegend auf Anschlagstafeln und im Internet ab. Jeppe Soe war mit einer „Tausch-Ratschlag- und Antihamsterseite“ (http://www.soe.dk/storkonflikt) einer der ersten. Hier kann man sich nicht nur über das unsolidarische Verhalten hamsternder Mitmenschen auslassen und Rezepte zum Selbstbacken von Brot finden, sondern auch zuviel oder falsch Gehamstertes wieder loswerden. Ein Vater, der in der Panik fünf Windelgroßpakete in der falschen Größe erwischte, will sie jetzt wieder abgeben. Oder: „Heißer Tip: In der Tankstelle am Grönlands-Markt gibt es noch fünf Tüten Smarties.“

Süßigkeiten sind das einzige, was in vielen Tankstellen noch zu kaufen ist. Neben dem Fehlen bestimmter Lebensmittel könnte der Benzinmangel den DänInnen das Leben kommende Woche dann doch unbequem machen. Hoffnungsvoll wird deshalb das Ergebnis der am Donnerstag wiederaufgenommenen Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften erwartet. Am ersten Tag wurde nur die Einigung erzielt, sich am heutigen Samstag wieder zu treffen. An geheimer Stelle, um ungestört von den Medien das schon abgeschlossen geglaubte diesjährige Tarifpaket noch einmal aufschnüren zu können.

Ohne daß sie mehr Urlaub erhalten, werden die Gewerkschaftsmitglieder kaum zu einer neuen Urabstimmung antreten. Das dürfte den Tarifparteien mittlerweile klar geworden sein. Noch nie haben sich die ArbeitnehmerInnen so kampfwillig gezeigt, seit sie zuletzt 1956 einen ausgehandelten Tarifvertrag kippten.

Mögen die Arbeitgeber auch lautstark lamentieren, daß mehr Freizeit zu einer Schwächung der dänischen Wettbewerbsfähigkeit führen würde. Für viele Ökonomen ist dieser Zusammenhang nicht logisch. „Man bekommt dafür im Gegenzug eine effektivere Arbeitskraft“, so Codan-Bank Chefökonom Kai Lindberg: „Jetzt wird der Urlaub größtenteils vom Arbeitgeber bestimmt. Die drei Wochen Sommerferien werden festgelegt. Diktiert werden Zwangsurlaubstage nach Feiertagen wie Christi Himmelfahrt oder zwischen Weihnachten und Neujahr. Vielen bleibt nichts anderes übrig, als krank zu feiern, wollen sie einen Zusatztag mit der Familie haben. Das würde dann wegfallen.“

Bereits dieses Wochenende, so die allgemeine Einschätzung, werde sich entscheiden, ob es zu einer Einigung kommt. Eine ganze sechste Urlaubswoche durchzusetzen, ist illusorisch. Das wissen auch die Streikenden. Nur ein zusätzlicher Urlaubstag ist ihnen aber zu wenig. Zwei Tage und die Aussicht auf ein Aufstocken in den kommenden Jahren könnte eine Lösung sein. Dafür würden die Gewerkschaften im Gegenzug zwar nicht auf die schon erreichten Lohnerhöhungen verzichten, vielleicht aber Teile der verbesserten Pensionsregelungen aufs nächste Jahr verschieben.

Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen machte in seiner Maiansprache noch einmal klar, daß die Tarifparteien nicht auf ein Eingreifen der Regierung hoffen sollten. Sollte die Regierung nur begrenzt in den Transportsektor eingreifen, um die Versorgung mit Benzin, Lebensmitteln und Tierfutter sicherzustellen, geben sich die Streikenden kampfbereit. Sie drohen schon jetzt mit „französischen Zuständen“: Blockaden, Straßensperren, Störung jeglichen Land- und Seeverkehrs.