■ Die Kundgebung der NPD in Leipzig war ein Flop. Nur ein Drittel der angekündigten 10.000 bis 15.000 Teilnehmer kamen.
: Gebremster Aufmarsch

Die Kundgebung der NPD in Leipzig war

ein Flop. Nur ein Drittel der angekündigten

10.000 bis 15.000 Teilnehmer kamen.

Gebremster Aufmarsch

Es ist vermutlich eine Ehre, in der ersten Reihe marschieren zu dürfen. Der kleine Dünne mit der verspiegelten Sonnenbrille hat seine Beinchen für diesen feierlichen Anlaß in enge Hosen und Knobelbecher gesteckt. Mit der Rechten hält er die NPD-Fahne, die linke Faust hat er in die Hüfte gestemmt. Mit unbewegter Mine blickt er über Fotografen hinweg auf das Völkerschlachtdenkmal, das zu diesem Anlaß ebenfalls herausgeputzt wurde. Irgend jemand hat in der Nacht ein riesiges Transparent an der Aussichtsplattform befestigt. Die Parole „Nie wieder Faschismus“ leuchtet schon von weitem den Fahnenträgern entgegen.

Ungeduldig dirigieren ein paar NPD-Ordner die ausgewählte Vorhut. Gleichschritt oder lockeres Gehen im Rhythmus der Marschmusik aus dem Lautsprecher? Was hier als großer Aufmarsch des „nationalen Widerstandes“ zum ersten Mai angekündigt worden ist, wirkt eher wie eine ungelenke Cheerleader-Übung. Gerade mal dreitausend Teilnehmer haben sich an diesem Freitag zur NPD-Kundgebung unter dem Motto „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“ eingefunden – fast ausschließlich junge Männer mit kahlgeschorenen Köpfen. Ein Glatzentreffen unter den Fahnen der NPD und ihrer Jugendorganisation, den Jungen Nationaldemokraten. Dazwischen verlieren sich alte Herren, die bereitwillig ihre Wut über die „schandhafte“ Wehrmachtsausstellung kundtun, und jüngere Herren in Kniebundhosen, ausrasiertem Nacken und dünnen Oberlippenbärtchen. Die meisten haben sich an die Anordnung der Partei gehalten, Alkohol und verbotene Nazi-Embleme zu Hause zu lassen. Um so beliebter ist dafür der kleine, weil unauffällige „88“-Anstecker, der Code der rechten Szene für „Heil Hitler!“. Von letzterem distanziert sich der NPD-Vorsitzende Udo Voigt derweil verbindlich lächelnd.

Weitaus eloquenter als die frischgebackenen Landtagsabgeordneten der DVU im Nachbarland Sachsen-Anhalt präsentiert Voigt Programm und Weltanschauung der NPD: „Sozialismus ist machbar. Aber nicht in einer multikulturellen Gesellschaft.“ Arbeitslose Ausländer wolle man binnen drei Monaten ausweisen, Ausländer insgesamt aus dem Sozialversicherungs- und Rentensystem ausschließen. Im Hintergrund tönt dazu im Chor ein Trupp junger „Kameraden“: „Hoch die nationale Solidarität!“ Sie haben sich hinter einem Transparent mit den Worten „Für die Erhaltung unserer Sprache und Kultur“ aufgebaut. Auf den T-Shirts ist es etwas anders formuliert: „Freikorps – wir marschieren wieder“.

Das versuchen sie denn auch immer wieder – und zwar Richtung Polizeiketten, die bei dieser in letzter Minute genehmigten Kundgebung Zusammenstöße zwischen NPD-Anhängern und Gegendemonstranten verhindern sollen. Bis zum Nachmittag meldet die Polizei 42 vorläufige Festnahmen von Antifa-Demonstranten, die sich in unmittelbarer Nähe des Völkerschlachtdenkmals ein kurzes Scharmützel mit Polizisten geliefert hatten. Letztere setzten Schlagstock und Wasserwerfer ein, erstere Pflastersteine.

Die Meldungen von Polizeieinsätzen gegen Autonome lösen vor dem Völkerschlachtdenkmal lauten Jubel aus, bloß kann auch der nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Veranstaltung von NPD und JN ein Reinfall ist – zumindest aus der Sicht der Rechtsextremen.

„Ein kläglicher Haufen“, kommentiert erleichtert Werner Schulz, Kandidat der Bündnisgrünen bei den Leipziger Bürgermeisterwahlen im April, der es sich nicht nehmen läßt, den „nationalen Widerstand“ persönlich in Augenschein zu nehmen. Doch allzuviel Genugtuung mag der Bündnisgrüne nicht verspüren. In Leipzig, so Schulz, sei das Problem einer rechten Hegemonie enorm: „Die mischen einen Jugendclub nach dem anderen auf.“

Vor dem Völkerschlachtdenkmal macht Schulz zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem rechten Musikidol Frank Rennicke, dem einzigen Akteur auf der Bühne, der etwas Leben in die Veranstaltung bringt. Zu recht schlichten Gitarrenklängen singt Rennicke ebenso schlichte Strophen: „Ich bin stolz, daß ich ein Deutscher bin ... wenn die Regierung auch betrügt und das Fernsehen weiter lügt.“ Die Skinheads singen ergriffen mit – und Schulz konstatiert verdattert: „Mein Gott, ist das schlechte Musik.“

Die letzten Redner können das Publikum kaum noch fesseln – so sehr sie auch ihre Stimmbänder mit Hitler-Imitationen strapazieren. Die jungen „Kameraden“ liefern sich lieber noch ein paar erfolglose Wettrennen mit der Polizei, bevor Frank Rennicke noch einmal ins Mikro schreit: „Ein Mann, der schweigt, wenn protestiert werden muß, der versündigt sich.“ Aber da haben sich die ersten deutschen Männer – mit Glatze und schwarzen Hemden von der Sonne traktiert – samt Bierdose in den Schatten geflüchtet. Andrea Böhm