Kommentar
: Gewendete Kapitalismuskritik

■ Die NPD stellt die soziale Frage und meint dabei Rassismus

Vor einer Woche bot die DVU dem Osten die Möglichkeit, braun zu wählen, gestern rief die NPD den braunen Osten unter dem Motto: „Arbeit zuerst für Deutsche“ zur Kundgebung. Dieses Plädoyer für einen nationalen Sozialismus ist in den neuen Bundesländern keine rassistische Parole einer kleinen Minderheit, sondern breiter gesellschaftlicher Konsens.

Der 1. Mai hat für die Ultrarechten inzwischen eine größere Bedeutung als der „Rudolf-Heß-Marsch“. Sie versuchen ein Ritual zu besetzen, für das bisher die Gewerkschaften zuständig waren, um so ihre Forderungen aus dem Dunstkreis radikalisierter Randgruppen in den Mainstream zu katapultieren. Sollte es der Ultrarechten gelingen, die soziale Frage zu stellen, wird sie ernsthaft gefährlich. In den neuen Bundesländern scheint diese Strategie aufzugehen. Die Neonazis stehen für die Jungwähler zum einen für Kapitalismuskritik, zum anderen lösen sie den Gefühlsstau gegen „das System“ auf.

Die NPD braucht den Erfolg einer Massendemonstration, will sie bei den Kommunalwahlen im Frühjahr ihre Gefolgschaft vergrößern. Sie weiß, daß sie die erste gesamtdeutsche Partei ist, deren Basis im Osten lebt. Deshalb muß sie dem Sog des DVU-Wahlerfolgs um so dringender Inszenierungen entgegensetzen, um ihre Mitglieder langfristig zu motivieren.

Die Randale der Linken, von den rechten Strategen heiß herbeigewünscht, überschattet die Gewerkschaftsdemonstrationen. Die Botschaft der Randale lautet: Die anderen sind die Chaoten, wir dagegen die braven Bürger. Wir bieten unserem Jungvolk Action und Thrill, wir zwingen den verhaßten Staat, uns zu schützen.

DVU und NPD marschieren getrennt, kommen aber gemeinsam zum Ziel. Und das heißt: Wir sind nicht die bösen Nazis, wir verkörpern den Protest. Die Mehrzahl derjenigen, die sich zu den Ursachen des Neonazi-Wahlerfolges äußern, fällt darauf herein. Deshalb zur Erinnerung: Ein Nazi ist nicht, wer einen eckigen Oberlippenbart hat und das NSDAP-Parteiprogramm auswendig kann. Ein Nazi ist nicht, wer keine Haare hat und Afrodeutsche verprügelt. Ein Nazi ist, wer Nazis wie Gerhard Frey oder die Nationaldemokraten wählt. Und ein Dummkopf ist, wer nicht merkt, daß das zentrale Anliegen der Ultrarechten nicht die soziale Frage, sondern Rassismus und Antisemitismus ist. Burkhard Schröder

vom Autor erschien 1997 „Im Griff der Rechten Szene“