Kumpels und Amerika

■ Vier Choreographien für einen bunten anachronistischen Ballettabend an der Oper

Neumeier goes Pop und beschert dazu noch ein rührendes Seventies Revival. Opus 100, ursprünglich als Geburtstagsständchen für Maurice Bejart choreographiert, war bei den letzten Ballett-Tagen so erfolgreich, daß es nun fest ins Repertoire übernommen wurde. Und so trällern Simon & Garfunkel ihr „Bridge Over Troubled Water“vom Band, während Kevin Haigen, Starsolist aus den Anfängen des Hamburg Balletts, und Ivan Liska, ebenfalls seit den Siebzigern und bis vor einem Jahr in der ersten Reihe tanzend, kumpelhaft über die Bühne tollen.

Den eingefleischten Fans, und nur solche hatten sich Freitag in der Staatsoper eingefunden, gefiel's. Oder sie nahmen das Stück als eine willkommene Auflockerung eines weitgehend ernsten, hochkonzentrierten Ballettabends, in dem der Ensemble-Chef als Choreograph mal nur eine Nebenrolle spielte. Im Mittelpunkt steht ein beeindruckendes Stück moderner Tanzgeschichte, The Unsung, eine Hommage an die Ureinwohner Amerikas, von dem Mexikaner indianischer Abstammung José Limón 1970 choreographiert und mittlerweile ein Klassiker des American Modern Dance. Gary Masters, bei der New Yorker Premiere in der Urbesetzung vertreten, hat das Stück für acht männliche Tänzer mit dem Hamburg Ballett einstudiert.

Einzig der Atem und das Stampfen der Füße tragen das strenge Eingangsritual. Ganz ohne Musik müssen die Tänzer einen gemeinsamen Rhythmus finden, in komplexen dynamischen Wechseln mit klar modellierten Formen. Einige davon muten etwas merkwürdig an, und auch das Ringen, heutzutage die Bewegungsmotivation für eine solche Dramatik zu finden, wird anfangs deutlich. Doch spätestens mit dem dritten, von Jacopo Munari vibrierend getanzten Solo entwickeln die Tanzbilder ihre suggestive Kraft und leben die heute noch geltenden Prinzipien des modernen Tanzes offen.

Bestes Zeugnis davon gibt die Choreographie Rennen hinter dem, was flieht des jungen Dresdner Chroreographen und zukünftigen Kieler Ballettdirektors Stephan Thoß. Inspiriert von Shakespeares Sonetten, hat er hier ein sensibles Beziehungsgeflecht zwischen klar gezeichneten Figuren geknüpft, in dessen Zentrum der Dichter (Gamal Gouda) steht. Insgesamt ein wechselhafter, durchaus anregender Abend, in dem auch Kevin Haigens Movements, Movements, Mendelssohn, das wohl kaum in die Annalen der Tanzgeschichte eingehen wird, seinen Platz findet.

Marga Wolff