Sehnsucht nach Roger Whittaker

■ Ein Norweger in Hamburg: Ingvar Ambjørnsen, „Blutsbrüder“und komplexe Antihelden

n seiner Heimat Norwegen ist er ein Star, in seiner Wahlheimat Hamburg bisher nur einer eingeschworenen Gemeinde bekannt: Ingvar Ambjørnsen. Dabei ist der Schriftsteller ungeheuer fleißig, liefert er Jahr für Jahr Buch für Buch ab. Mindestens. Zwei Dutzend Bücher sind so zusammengekommen: Romane, Erzählungen, Jugend- und Kinderbücher. Letztere oft eine Garantie, daß hier einer verständlich und atmosphärisch dicht schreibt und auf jedes manierierte Wortgeklüngel verzichtet.

Die Erfolgsstory beginnt Ende der trüben 70er Jahre. Ambjørnsen lebt im südnorwegischen Larvik, ein Langhaariger, ein Lesesüchtiger, der eines Tages beschließt, auf die andere Seite zu wechseln. Dieses Handwerk zu erlernen, geht er den direkten Weg: Er wird Schriftsetzer, und er arbeitet als Pfleger in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Seine Helden siedelt er nicht in der Landschaft der norwegischen Fjorde oder der Schärenwelt, sondern in den urbanen Nischen Norwegens an. Ob am Rande Oslos oder Hamburgs: Hochhaussiedlungen ähneln sich, Bahnhofsgegenden beherbergen in allen Städten der Welt ein verwandtes Klientel. Und so tummeln sich Freaks, Hausbesetzer und abgerissene Verrückte in seinen Büchern – Menschen, die niemand braucht und die mehr Drogen nehmen, als ihnen gut tut. All jene also, die man neudeutsch Loser nennt. Überlagert wird die Beschreibung ihrer Welt durch eine einfache Frage: Wie schafft man es, erwachsen zu werden? Wie kann es gelingen, dem alltäglichen Wahnsinn auf vernünftige Weise standzuhalten? Und stets sind es die Männer, die an dieser Aufgabe scheitern, weil sie sich zuallererst selbst im Wege stehen.

Sind seine frühen Romane wie Weiße Nigger, Stalins Augen oder Die mechanische Frau in einem schroffen, ruckartigen Stil gehalten, der ein entsprechend hohes Lesetempo verlangt, schlägt Am-bjørnsen neuerdings sanftere Töne an. Seine Elling-Trilogie (Ausblick auf das Paradies, Ententanz, Blutsbrüder) erzählt von der Odyssee eines 32jährigen Frührentners, der nach dem Tod seiner Mutter ins Bodenlose stürzt.

Die Handlung ist noch immer auf das Wesentliche beschränkt, die Sätze noch immer knapp gehalten, doch weist Ambjørnsens Tonfall nun vielfältige Schattierungen auf: mal deftig, dann wieder verspielt und vor allem differenziert. Einer wie Elling bietet keine Projektionsfläche für das Idealbild des Verrückten, der als einziger den Durchblick behält. Statt dessen ist Elling einer, der verzweifelt das sucht, was uns Normalos oft als wenig reizvoll erscheint. Elling liebt Roger Whittaker. Elling verzehrt sich nach der norwegischen Ministerpräsidentin. Elling sehnt sich nach einem gut gefüllten Kühlschrank und einem gelungenen Fernseh-abend. So kämpft sich Elling durch drei Romane voran, entzückt uns mit seinem verqueren, trockenen Humor, schafft schließlich gemeinsam mit seinem Freund Kjell den Sprung ins profane Leben, auch wenn er am Ende – was Wunder – Poet werden möchte.

So gehört denn die Schilderung einer Dichterlesung mit zu den komischsten Momenten von Blutsbrüder. Ambjørnsen selbst meidet den Literaturzirkus, wo es nur geht. Daß sich der 42jährige, der seit 13 Jahren in Hamburg lebt, auch vor seiner Fangemeinde so selten blicken läßt, hat einen weiteren Grund: Er liest ungern auf deutsch. Eine der wenigen Gelegenheiten, ihn dennoch zu erleben, bietet sich heute. Man sollte sie nutzen.

Frank Keil

Ingvar Ambjørnsen: „Blutsbrüder“. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Fretz & Wasmuth, 1997, 255 Seiten

Lesung: heute, 20.30 Uhr, Buchhaus Weiland, Ottenser Hauptstr. 10