Kunstsinn trotzt Monstrum

■ „Wie laut ist Schwarz (oder Rot)“: Der Klangfarbkünstler Rolf Julius kontert mit seinen Leisesprechern jetzt auch in Delmenhorst der alltäglichen Reizüberflutung / Ein Ausflug in die Städtische Galerie namens Haus Coburg

Im Neuen Museum Weserburg piept es. Und es brummt. Und es surrt. Denn oben unterm Dach des alten Kaffeespeichers auf der Bremer Teerhofhalbinsel hat Rolf „der den Bürgerweiden-Klangpfad schuf“Julius seinen Klangraum eingerichtet. Seit Jahr und Tag gibt er schon seine betörenden Geräusche von sich, und er könnte sie ungestört weiter von sich geben, wenn es nicht in der Nachbarschaft eine noch betörendere Filiale gäbe: Jetzt piepst, brummt, surrt und – wie Barbara Alms ergänzt – knurzt es auch in Delmenhorst, wo die Städtische Galerie „Haus Coburg“heißt und wo deren Leiterin, die Frau Alms nämlich, nicht nur mit Wortschöpfungen anecken will.

Einen Baselitz will sie auch gar nicht zeigen

Kommt ein Reisender mit dem Automobil nach Delmenhorst und fährt von der immer vollen B 75 in die Nachbarstadt, erlebt er eine seltsame Urbanität. Die Aus- oder Einfallstraße, die sich schnurgerade vorbei an resopalverblendeten Einfamilienhäusern in Richtung Zentrum zieht, wird plötzlich Friedrich-Ebert-Straße – also vierspurig mit Planungsoption auf mindestens acht Fahrbahnen. Der Abschnitt 60er-Jahre-Magistrale ist ein Monstrum für Delmenhorster Verhältnisse, das übrigens auch von bahnfahrenden BesucherInnen überquert werden muß. Ohne es gäbe es allerdings die Städtische Galerie nicht. Und ohne es wäre Julius Kunst nicht ganz so wirkungsvoll.

„Fest und streng“steht in Jugendstilschwung über dem Portal der nach wohl zehn Stufen erreichten Eingangstür. Und tatsächlich trotzt die über 90 Jahre alte Villa dahinter dem Niveau der Friedrich-Ebert-Straße: Die kunstsinnige Arztfamilie, die hier zwei Generationen lang wohnte, im Salon öffentlich musizieren ließ und erst Arthur Fitger und später Hans-Albert Walther ausstellte, hat für den Straßenbau ihren Jugendstilgarten aufgeben müssen und sich deshalb das Haus abkaufen lassen. Der Name Coburg aber und der damit verbundene Sinn für Kunst sind geblieben.

Vor neun Jahren schon übernahm Barbara Alms einen – wie sie sagt – Gemischtwarenladen alias Städtische Galerie und beschert Delmenhorst seither Sperrmüll-Installationen von Achim Bitter, Neu-Dada von Bernhard Johannes Blume, klassisch Modernes von Christian Schad oder Kunst in der (Fabrik-) Halle von Gerlach/Jaxy/Rogge. Für Riesengroß-Formate der ehemals Neuen Wilden sind die Räume zu klein. „Einen Baselitz kann ich hier nicht zeigen“, sagt Barbara Alms und schmunzelt: „Das will ich auch gar nicht.“Dafür will sie Reduktion, will Kunst vom 1939 in Wilhelmshaven geborenen, an der Bremer Hochschule für Künste ausgebildeten und schon ganz lange in Berlin lebenden Rolf Julius.

Der Lärm der Straße dringt an manchen Stellen in das Haus. Oben, wo die Fenster nicht zugehängt und die Scheiben sichtbar dünn sind, ist Bauarbeit für die Einrichtung der Fritz-Stuckenberg-Sammlung im Nachbargebäude zu hören. Vorne, im Windfang mit den friesischen Kacheln, sind es Friedrich Eberts mobile Nachfahren in der beginnenden Rush-hour. Es ist Werktag, nachmittags. Eine Mitarbeiterin Barbara Alms stellt die Kaffeetasse auf den Unterteller und begrüßt den zur Zeit einzigen Kunstpilger. Überlaufen sind heutzutage andere Ausstellungen. Doch mit Julius Kunst ist man ohnehin am besten allein.

Schon im Treppenhaus ein Julius-Brummen. Es kommt aus einem an der Decke hängenden Baßlautsprecher. Auf subtile Weise macht es die Geräusche außerhalb der Villa vergessen. Je leiser sie werden, desto lauter wirken die anderen Julius-Klänge: Ein Flirren aus diesem Zimmer, ein Schnattern aus einem anderen, ein Surren und möglicherweise auch ein Knurzen verwandeln die zehn Ausstellungsräume auf zwei Etagen akustisch in ein dem Lärm und der Zeit entrücktes Haus voller halb vertraut wirkender, halb exotischer Klänge.

Julius nimmt sie in der Natur auf und synthetisiert sie. Dann schickt er sie durch seine Laut- und Leisesprecher, die allesamt Installationen sind. Die Klänge müssen Julius-Staub durchdringen. Julius-Staub – das sind Pigmente. Mal sind sie schwarz und in eine japanische Teeschale gefüllt. Mal sind sie mit Quarzbröckchen angereichert und auf eine Glasplatte geschichtet. Und mal leuchten sie kräftig rot und riechen noch leicht nach Pfeffer, den Julius ihnen beigemengt hat, auf daß einem diese Kunst auch in die Nase steigt.

„Wie laut ist Schwarz (oder Rot)“hat Julius seine Ausstel-lungsinszenierung genannt und sinniert auch Schwarz auf Weiß über das Thema: „Die Freude (und Lust),/an ein mattes/etwas körniges und fast/samtenes Schwarz zu denken./Und an ein gesiebtes/frisches Rot.“So steht's geschrieben neben und in Arrangements von kleinen Tafeln. Wie Kalligraphien ordnet er Abbilder von roten Kreisen, schwarzen Quadraten, klar konturierten oder an den Rändern ausgefransten Formen aneinander.

Wie laut Schwarz ist, bleibt unentschieden

„Es sind digitale Photographien von Pigmentschüttungen“, erklärt Barbara Alms, wenn man sie danach fragt. Und sie schwärmt regelrecht dafür, daß Julius digitale Techniken zwar benutzt – statt von der Casette kommen die Klänge inzwischen von der CD – und trotzdem klare und reduzierte Aussagen macht. Die zielen mit Erfolg auf alle Sinne und lehren nicht bloß hinzuhören. Doch wie laut Schwarz ist, bleibt in der Villa unentschieden. Ganz anders fällt die Antwort nach dem Verlassen des Hauses Coburg aus. Etwa eine Stunde lang hält die Wirkung an, dann hat einen die Rush-hour und die Reizüberflutung da draußen wieder. ck

Rolf Julius – „Wie laut ist Schwarz (oder Rot)“bis zum 19. Juli in der Städtischen Galerie Delmenhorst, Haus Coburg, Fischstraße 30; geöffnet: Di-So 10-17 Uhr, Do bis 20 Uhr; nächste Führung So, 17. Mai, 11.30 Uhr