Politische Vorwärtsverteidigung

■ Innensenator Schönbohm (CDU) übt Schadensbegrenzung nach dem Scheitern seines polizeilichen Konzepts am 1.Mai und erwägt Einschränkung des Demonstrationsrechts. Polizeioffizier warnt vor Aufgabe des Deeskal

Die Bilanz des 1. Mai liest sich in etwa wie folgt: über 400 Festnahmen, davon 26 mit Haftbefehl, eingeworfene Schaufensterscheiben, 46 beschädigte Autos, 4 demolierte Polizeifahrzeuge und ein Glasschaden in der Sparkasse Kastanienallee in Prenzlauer Berg. Brennende Barrikaden in Mitte, 17 verletzte Polizisten, mindestens 32 verletzte DemonstrantInnen. Zur Bilanz gehört auch die Forderung von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU), die „Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“ zu verbieten oder zumindest nur noch als Kundgebung auf einem von Polizeikräften abgesperrten Platz stattfinden zu lassen.

Er kündigte an, künftige 1.-Mai- Demonstrationen, wenn überhaupt, dann nur noch mit schweren Auflagen zu genehmigen. „Man muß überlegen, ob man den Umzug nicht verbieten kann“, sagte Schönbohm, „Ich lasse von meinen Juristen prüfen, wie weit das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geht.“

Angesichts der Gewalt, so Schönbohm, müsse man überprüfen, ob die „Grenze jetzt nicht überschritten ist“. Dazu plädierte er für eine Diskussion aller Parteien über mögliche Einschränkungen oder ein Verbot der Demonstration. Dabei sei das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ein hohes Gut, und er denke auch nicht an die Veränderung der rechtlichen Grundlagen, doch dürfe sich die Situation nicht noch einmal wiederholen. Er sehe eine „partiell neue Qualität der Gewalt“.

In seiner Nachlese bemühte sich der Innensenator, den Einsatz der Polizei trotz anhaltender Ausschreitungen als Erfolg zu interpretieren. Insgesamt, so Schönbohm, sei der 1. Mai doch friedlich verlaufen, friedlicher und mit weniger verletzten Polizeibeamten als in den vergangenen Jahren. „Es hat viele friedliche und fröhliche Feste gegeben, zum Beispiel am Humannplatz und am Mariannenplatz“, so Schönbohm, „und die Polizei hat im Rahmen der Verhältnismäßigkeit gehandelt“.

Auch den Vorwurf der Abgeordneten Judith Demba (Grüne) und Benjamin Hoff (PDS), die Polizei habe von der NPD-Kundgebung in Leipzig zurückkommende Neonazis „durchgewinkt“, Busse von GegendemonstrantInnen dagegen „regelrecht gekapert“, wies der Innensenator zurück. Ihm hätten Erkenntnisse vorgelegen, wonach die GegendemonstrantInnen auf dem Weg zur 1.-Mai-Demonstration und gewaltbereit gewesen seien. Nach dem Polizeigesetz habe man deshalb 174 Rückkehrer zur Personalienfeststellung mitgenommen.

Dagegen weist Polizeioberrat Udo Behrendes, Autor im Handbuch für Führungskräfte der Polizei zum Thema „Umgang mit Demonstrationen“, auf eine bedenkliche Entwicklung in der polizeilichen Strategie Berlins hin. Zur taz sagte Kommissarausbilder Behrendes: „Das Deeskalationskonzept ist keine Frage der Beliebigkeit.“

Der Abschied der Berliner Polizei vom Deeskalationskonzept habe ihn deshalb aufgeschreckt, da Gewalt auch herbeigeredet oder von seiten der Polizei die Bereitschaft dazu geweckt werden könne. „Mit einem martialischen Dienstanzug zum Beispiel signalisiere ich, daß ich Gewalt prognostiziere.“

Zur Ankündigung Schönbohms, eine Einschränkung des Demonstrationsrechts anzustreben, meint Polizeioberrat Behrendes: „Es steht mit dem Demonstrationsrecht letztlich mehr auf dem Spiel als ein paar zerbrochene Fensterscheiben und umgeworfene Autos.“ (Vollständiges Interview in der morgigen Ausgabe.)

Die Veranstalter der Demonstration haben der Polizei unterdessen vorgeworfen, brutal vorgegangen zu sein und wahllos auf DemonstrantInnen eingeprügelt zu haben. Sie kündigten bereits rechtliche Schritte gegen den Polizeieinsatz an. Heute schon muß sich der Innenausschuß des Abgeordnetenhauses mit dem Mai-Krawall beschäftigen. Außerdem steht das Verhalten der Berliner Polizei beim Castor-Transport in Ahaus auf der Tagesordnung. Barbara Junge

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