Schöner schnorren

Organisierte Mildtätigkeit ist ein expandierender Wirtschaftszweig: Eindrücke vom 5. Deutschen Fundraisingkongreß  ■ Von Harry Nutt

Um dauerhaft Gutes zu tun, braucht es letztlich das Geld der anderen Leute. Das hat sich auch Gottfried W. gedacht. Der Frankfurter Modekaufmann hatte nach 30jähriger Geschäftstätigkeit genug von der Haute Couture, verkaufte seinen florierenden Betrieb und baute ein Projekt für Straßenkinder in Peru auf. Die Anschubfinanzierung konnte er aus eigener Tasche bezahlen. Fortan soll das Projekt aus anderen Quellen gespeist werden. Gottfried W. braucht Unterstützung. Ein klarer Fall für Fundraising.

In Kassel fand Ende April bereits der 5. Deutsche Fundraisingkongreß statt, zu dem die Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialmarketing/Deutscher Fundraising Verband e.V., kurz: bsm, geladen hatte. Der komplizierte Verbandsname führt ein ins Problem. Fundraiser möchten sich vom piefigen Image des Spendensammlers mit Klingelbeutel verabschieden. Fundraising oder Sozialmarketing macht sich erst nach professioneller Marktanalyse ans gute Werk.

Das kommt nicht zuletzt auch den Umsätzen zugute. Das Wort Schnorren hörte niemand gern auf der Kasseler Tagung. Statt dessen war viel von Corporate Citizenship, Social Sponsoring und allerlei Synergieeffekten die Rede. Aus der örtlichen Wohlfahrt und alternativen Initiativen kommend, hat sich das Fundraising als Branche mit wirtschaftlichem, psychologischem und sozialpolitischem Know-how etabliert. Der Strickpullover des Sozialarbeiters ist dem blauen Daniel-Hechter- Hemd mit weißem Kragen gewichen. Ein expandierender Fachbuchmarkt hält darüber hinaus Wissenswertes über Spendenmentalität, Erbschaftsgesetze und die Besteuerung von Mildtätigkeit bereit. Die gute Gesinnung hat ihre Sozialtechniken optimiert und ist marktförmig geworden. Die Branche boomt mit Umsätzen in Milliardenhöhe.

Man bittet die Großunternehmen nicht mehr um Geld- und Sachspenden, sondern kommt mit ihnen ins Geschäft. Die Ware heißt Imagetransfer. Gesellschaftliches Ansehen ist allerdings selten bloß für schnöden Mammon zu haben.

Die Ware heißt Imagetransfer

Das gestand Werner Zorn von IBM Deutschland ohne Umschweife ein. Sein Unternehmen hat klare Strategien dafür entwickelt, wie mit Geld Image gekauft wird. Die Konzerngeheimnisse wollte er den Fundraisern nicht vorenthalten. Man muß die Spielregeln der Unternehmen kennen. Das führt die Spendensammler schneller zum Ziel und entlastet die Unternehmen von der Flut chancenloser Anfragen. Jede milde Gabe hat es auf den „return in publicity“ abgesehen. Kam es dem klassischen Eigentümerkapitalismus immer auch auf die soziale Position in der Gesellschaft an, so geschieht heute fast jede wirtschaftliche Aktivität im Interesse des shareholder value. Gut ist, was der Kurspflege an der Börse nützt. Investitionen ins Image mittels guter Taten aber sind auf Dauer angelegt und bringen allenfalls mittelfristig Dividende.

Spenden sammeln ist Bürgerarbeit

Fundraiser haben sich mit solchen Spielregeln längst vertraut gemacht. Das war vor ein paar Jahren noch anders. Das Geld der Konzerne, so Zorn, stand unter dem Verdacht, in falscher Absicht bereitgestellt zu werden. Das Mißtrauen in das böse Geld der Konzerne ist gewichen. Wer heute in der Wirtschaft nach Spenden fragt, ist ausgerüstet mit Profilanalysen, Umfrageergebnissen und Kosten- Nutzen-Rechnungen. Es kommt nicht mehr nur darauf an, auf seiten der guten Tat zu sein, man muß sie auch in einem vielversprechenden Design präsentieren können. Fundraiser haben verstanden, auf was es spendenden Institutionen ankommt. Es gibt kaum noch Kultur- oder Sportveranstaltungen, die nicht mit Benefizaktionen einhergehen. Das ist sie doch, die Bürgerarbeit, die von kommunitaristischer Seite so nachdrücklich angemahnt wird. Man feiert sich selbst am liebsten für die gute Sache.

Darin besteht aber auch das Paradox des Sozialmarketings. Je erfolgreicher Fundraising funktioniert, desto gefährdeter scheint die Motivation der sozialen Aktivität. Die aufstrebende Branche hat Imageprobleme. Von weltfremden Heilsarmisten haben sich die Akteure des Spendengewerbes zu einer Art Funktionselite in karitativem Auftrag gewandelt.

Fundraising goes Showgeschäft. Wenn der Auftritt gut rüber kommt, klingelt's in der Kasse. Neben der Wirtschaft sind die Medien der wichtigste Partner des Sozialmarketings. Von der Erdbeben- gala bis zum Greenpeace-TV kommt es darauf an, auf Sendung zu sein. Medienpräsenz, so Dieter Pool von Unicef, ist fast immer wichtiger als gute Spendenergebnisse. Für die Fernsehsender, immer auf der Suche nach Notleidenden mit Artikulationsfähigkeiten, sind die Non-profit-Organisationen (NPOs) längst Vermittler von entsprechenden Opfergruppen.

Sorgen macht dem Gewerbe indes die künftige Klientel. Ein Arbeitskreis des Kongresses befaßte sich mit den Problemen, die Jugendliche dem Spendenwesen bereiten. Der Durchschnittsspender ist über 50 Jahre alt. Die gute Tat hat Nachwuchssorgen. Soziales Engagement, so beklagten die Fundraiser, sei bei der konsumorientierten, sprunghaften Jugend nicht mehr hoch im Kurs. Hier stand Stephan Uhrlings vom qualitativen Marktforschungsinstitut „Rheingold“ mit tiefenpsychologischen Erkenntnissen zur Seite. Jugendlichen sei heute nicht mehr mit Ideologien und sozialer Programmatik beizukommen. Sie frönten der Luxese, einer Mischung aus Luxus und Askese und seien eher nihilistisch und pluralistisch orientiert. Will man sie für gute Zwecke aktivieren, dann bedarf es konkreter Aktionen. Ehrenamt ist uncool, aber für das Auftürmen von Sandsäcken vor Hochwassergefahren sind sie noch immer zu begeistern.

Die verbreitete Klage über das schwer zu erreichende soziale Gewissen der Jugendlichen machte deutlich, daß die Lern- und Wandlungsfähigkeit der Fundraiser ihren Endpunkt noch keineswegs erreicht hat. Sonst hätten sie erkennen können, daß sich die jugendliche Orientierungslosigkeit vom Helferselbstverständnis gar nicht so sehr unterscheidet. Beide scheinen nämlich über ein unerschütterbares Gespür für den authentischen Kern ihres Tuns behalten zu haben. Während der Jugendliche weiß, wann es lohnt zuzupacken, ist sich der Fundraiser seines guten Tuns immer gewiß. Wie sonst ist zu erklären, daß die Selbstwahrnehmung der Branche auf dem Kongreß kein Thema war.