Gewaltmonopol des Staates wird nicht angetastet

■ betr.: „Zwangsjacke gegen das MAI“, taz vom 27. 4. 98

In dem Artikel schreiben Sie: „Die Sprecherin der MAI-Arbeitsgruppe, Ulrike Beer, fragte nach den Hintermännern, die das Abkommen vorangetrieben haben. Doch die Frage, warum Regierungen sich mit dem MAI ihren eigenen Handlungsspielraum abnehmen lassen, blieb unbeantwortet.“

Erstens habe ich kein Mandat als „Sprecherin der MAI-Arbeitsgruppe“, da unsere Gruppe nicht über eine derartige institutionelle Aufgabenteilung verfügt. Was ich auf dem Kongreß gegen das MAI dargestellt habe, war meine Ansicht, die sich aber natürlich aus dem Prozeß der Gruppendiskussion entwickelt hat.

Zweitens zielte meine Frage auch keinesfalls auf „die Hintermänner“ des Abkommens ab. Soweit es sich dabei um nationale und internationale Industrielobbyverbände (ICC, ERT, USCIB, WBCSD...) handelt, sind diese zur Genüge gekannt. Alle anderen „Hintermänner“-Theorien weise ich schärfstens zurück, als da wären: die kapitalistische Weltverschwörung, eine MAI-Verschwörung der Freimaurerlogen zur Vorbereitung der Weltdiktatur etc.

Mein Anliegen war und ist vielmehr, auf die Rolle des Staates im MAI-Abkommen hinzuweisen, der durch das Abkommen eben nicht, wie breite Teile der Anti- MAI-Kampagne und auch Ihr Artikel es suggerieren, eine „Zwangsjacke“ gesteckt wird. Denn da die Nationalstaaten das Abkommen freiwillig unterzeichnen, wäre es wirklich eine unbeantwortbare Frage, wieso sie das tun sollten, wenn es für sie gleichbedeutend mit Souveränitäts- und Kontrollverlust wäre. Wenn man einen genaueren Blick auf das Abkommen wirft, wird jedoch klar, daß der Nationalstaat darin zwar sein Gesicht verändert, nicht aber seine Macht verliert: Das MAI soll für alle Bereiche gelten außer für diejenigen, die für die nationale Sicherheit von Bedeutung sind. Der gesamte Bereich von Justiz, Militär und Polizei bleibt also fest in nationaler Hand, das Gewaltmonopol des Staates wird nicht angetastet. Weiter verpflichten sich die Staaten, ausländischen Investoren Schadensersatz bei Profitverlusten durch Krieg, bewaffnete Konflikte, Ausnahmezustand, Revolution, Aufstand oder bürgerliche Unruhen zu bezahlen (Artikel IV.3). Dies bedeutet, daß ein Staat, der das MAI- Abkommen unterzeichnet hat, gegen jegliche Art sozialer Unruhen verschärft vorgehen wird.

Das MAI schafft dem Staat den nötigen Sachzwang, um repressives Vorgehen gegen soziale Proteste und Bewegungen als notwendig zu rechtfertigen. Natürlich verliert er durch das MAI seine wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Steuerungsmechanismen und Gestaltungsmöglichkeiten. Aber wenn man zum Beispiel Gerhard Schröder einmal zuhört, hat man dann noch den Eindruck, die Politik des 21. Jahrhunderts wolle in irgendeinem Bereich steuern bzw. gestalten? [...]

Was ich sagen will, ist, daß der empörte Protest großer Teile der Anti-MAI-Kampagne nach dem Motto „Doch jetzt wollen die Staaten die ihnen von uns übertragene Souveränität an die transnationalen Konzerne abgeben!“ (Tony Clarke) nicht den eigentlichen Punkt trifft: Der Nationalstaat wird, trotz MAI, oder besser gesagt: gerade wegen des MAI, durchaus souverän bleiben: souverän im Sinne seines Gewaltmonopols über die BürgerInnen. Das MAI vermindert demokratische Kontroll- und Mitsprachemöglichkeiten und schafft gleichzeitig Strukturen für potentiell verschärfte staatliche Repressionen. Läßt man diesen letzten Aspekt außer acht und ruft die BürgerInnen lediglich zur Verteidigung der nationalstaatlichen Souveränität auf, wie die MAI-Kampagne das tut, liefert man rechtsradikalen Strömungen und Gruppierungen sehr einfache Anknüpfungspunkte für nationalistische Argumentation und darf sich nicht wundern, wenn diese dann die eigene Kampagne für sich benutzen. Genau das ist jedoch auf dem Anti-MAI- Kongreß passiert. Ulrike Bär, Mitglied

der Berliner MAI-AG und Refe-

rentin für Internationalismus der

Humboldt-Universität