Zwischen Inzest und Rassismus?

Kritisches Buch über umstrittenes Uni-Institut für Humanbiologie  ■ Von Ulrike Winkelmann

Rassismus braucht keine Rassen. Aber kann es Rassen ohne Rassismus geben? Stimmt es, wie auch Hannah Arendt behauptet hat, daß Rassismus der ideologische Mißbrauch des wissenschaftlich neutralen Begriffs „Rasse“ sei? Warum und zu welchem Zweck sie die Menschheit in „Rassen“ einteilen, müssen sich die ProfessorInnen des Humanbiologischen Instituts der Universität Hamburg seit ein paar Jahren fragen lassen; zu verdanken ist dies der Wühlarbeit der studentischen „Arbeitsgruppe gegen Rassenkunde“.

In dem Buch Deine Knochen – Deine Wirklichkeit hat die AG ihre Arbeit jetzt dokumentiert: Ein Semester lang harrten ihre Mitglieder in der humanbiologischen Veranstaltung „Rassenkunde des Menschen“ aus, recherchierten die Geschichte der deutschen Anthropologie und garnierten ihre theoretische Aufklärungsarbeit mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen. So wurden die Organe der Universität zu Stellungnahmen und Vorle-sungsreihen gezwungen, und die Hamburger HumanbiologInnen selbst mußten sich vor allerlei Mikrophonen in ihrer ganzen wissenschaftlichen Provinzialität entblößen.

Denn kaum anders als mit Ignoranz gegenüber der eigenen Wissenschaftsgeschichte ist es zu erklären, warum das Lehrpersonal der Humanbiologie, angeführt vom Direktor Rainer Knußmann, an Rassenlehren festhält, deren Methoden und Inhalte es von ForscherInnen im Dienste des Nationalsozialismus geerbt hat. Noch heute werden in der Humanbiologie Fotos von Menschen gezeigt, denen ihr Jüdischsein am Gesicht abzulesen sein soll; auch hat Knußmann schon Zusammenhänge zwischen mütterlicher Berufstätigkeit und der Beckenbreite der Söhne festgestellt.

Die Aufsätze in Deine Knochen – Deine Wirklichkeit zeigen, wie sich Vorkriegs- und NS-Lehrmeinungen durch akademischen Inzest bis ins Hier und Jetzt halten konnten: Wenige einflußreiche ProfessorInnen haben seit Beginn des Jahrhunderts die Rassenkunde von Doktorvater bzw. -mutter an den wissenschaftlichen Nachwuchs weitergegeben. Dadurch wurde der in Hamburg vertretene Zweig der Humanbiologie immun gegen Wissenschaftskritik.

Der Generalvorwurf der AutorInnen lautet dabei „Biologismus“: Unverantwortlich sei es, menschliches Verhalten durch biologische Gegebenheiten erklären zu wollen. Eben dies ist allerdings Ziel der Humanbiologie, und deshalb ist sie gegenüber auch der postmodernsten soziologischen Theorie unempfindlich. Wer, wie Knußmann, Sexualverhalten mit Hormonen begründet, wird sich auf die Behauptung, Geschlechter würden gesellschaftlich konstruiert, nicht einlassen. Daß damit die Debatte allerdings nicht am Ende ist, hat die AG gegen Rassenkunde bewiesen.

„Deine Knochen – Deine Wirklichkeit“ (Unrast-Verlag, 16,80 Mark) wird morgen um 19 Uhr in der T-Stube im „Pferdestall“, Allendeplatz 1, vorgestellt.