Whiskey in the jar

Irlands Goldschwimmerin Michelle Smith steht nach positiver Alkohol-Urinprobe vor dem Karriereende  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Bang wartet Irland auf die Entscheidung des Weltschwimmverbandes Fina im Fall der gepanschten Urinprobe der dreifachen Goldmedaillengewinnerin Michelle Smith-deBruin. Der 28jährigen Irin droht eine Sperre, weil sie bei einer Dopingkontrolle im Januar geschummelt haben soll. Die Urinprobe roch stark nach Whiskey, stellte ein Angestellter des spanischen Labors überrascht fest. Die Untersuchung ergab, daß der Alkoholgehalt selbst für eine Irin tödlich gewesen wäre. Die Schwimmerin kann bis zum 18. Mai die B-Probe öffnen lassen oder vor dem Internationalen Sportgericht in Lausanne gegen eine Sperre Berufung einlegen.

Ihre Karriere dürfte allerdings beendet sein. Dabei hatte sie erst vor ein paar Jahren richtig begonnen. 1992 lag Smith auf Platz 115 der Weltrangliste und wollte nach den für sie enttäuschenden Spielen von Barcelona zurücktreten. Doch nach dem Wettkampf traf sie in der Cafeteria auf Erik deBruin, einen holländischen Diskuswerfer. Es funkte zwischen den beiden, er holte sie nach Rotterdam und trainierte sie, obwohl er vom Schwimmen keine Ahnung hatte. Aber er hatte Zeit, denn er war wegen Dopings für vier Jahre gesperrt. Seine Trainingsmethoden bewirkten Wunder: Michelle Smith brach 23 irische Rekorde in zwölf Monaten, und bei den Olympischen Spielen in Atlanta gewann sie 1996 drei Gold- und eine Bronzemedaille – und das in einem für den Schwimmsport fast greisenhaften Alter.

Damit war zu Beginn ihrer Karriere wahrlich nicht zu rechnen gewesen. Zum einen gibt es in ganz Irland kein einziges 50-Meter- Becken, zum anderen war der irische Schwimmverband jahrzehntelang ein Deckmäntelchen für Päderasten: Derry O'Rourke, der Trainer der Olympiaauswahl, ist vor kurzem wegen Vergewaltigung von neun minderjährigen Schwimmerinnen zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. George Gibney, sein Vorgänger, hatte mindestens sechs Jungen und Mädchen beim Schwimmunterricht über Jahre hinweg vergewaltigt. Er floh 1994 und ist seitdem verschwunden. Frank McCann, der Manager des Nationalteams, war von seiner Frau bei einer Affäre mit einer Schwimmschülerin ertappt worden. Da brachte er die Gattin und deren kleine Nichte kurzerhand um.

Die Kritiker von Michelle Smith staunen über den Wandel einer durchschnittlichen Schwimmerin mit weiblichen Rundungen zur breitschultrigen Athletin und machen dafür ihren Mann, den Dopingsünder, verantwortlich. Im Jahr vor Atlanta war sie fast ständig „mit unbekanntem Ziel verreist“ und für die Dopingkontrolleure unauffindbar. Sie mied die großen Wettkämpfe und schwamm statt dessen bei kleinen Veranstaltungen in den Niederlanden und den USA, bei denen nicht kontrolliert wurde. Und auch im Oktober 1996, als die Fina einen Dopingtest in Irland anberaumt hatte, verschwand sie vorher. Nach einem leichten Autounfall im Oktober sagte sie ihre Teilnahme an den Weltmeisterschaften ab. Während die Wettkämpfe stattfanden, tauchten die Dopingkontrolleure überraschend bei ihr zu Hause im irischen Kells auf.

Auf der Grünen Insel gehen die Meinungen über die erfolgreichste Olympionikin des Landes auseinander. Die meisten wollen einfach nicht glauben, daß der nationale Goldhamster in Wirklichkeit ein Chemieprodukt ist. Der irische Sportminister McDaid wünschte der Sportlerin die „Achtung ihrer Privatsphäre, damit sie Zeit findet, ihre Seite des Falles darzustellen“. Martin Breheny behauptete in Ireland on Sunday gar, daß die Fina höchstselbst die Urinprobe mit Whiskey verfeinert habe, um Erik deBruin zu schaden.

Die Werbebranche war dagegen von Anfang an vorsichtig. Michelle Smith soll im vorigen Jahr umgerechnet höchstens 150.000 Mark eingenommen haben – nicht viel für drei Goldmedaillen. Wer will schon mit einer Schwimmerin werben, bei der man damit rechnen muß, daß sie jeden Augenblick als Junkie entlarvt wird. Auch in Irland mehren sich inzwischen die skeptischen Stimmen. Im Januar trat Sean Gordon von seinem Funktionärsposten im irischen Schwimmverband aus Protest zurück, nachdem man Michelle Smith die Ehrenmitgliedschaft auf Lebenszeit verleihen wollte. Und Tom Humphries, Sportjournalist der Irish Times, beschrieb den Erfolgsweg der Schwimmerin folgendermaßen: „Eine geheime dreijährige Reise, die sämtliche physiologischen, biomechanischen und hydrodynamischen Gesetze gebrochen hat.“