Glaubwürdig? –betr.: „Nur lebendig rauskommen“, taz-Hamburg vom 27.4.1998

Den Artikel „Nur lebendig rauskommen“ nehme ich zum Anlaß, um ein Ungleichgewicht anzusprechen, das mich seit dem Ausscheiden aus meiner fünfjährigen Arbeit im Drob-inn beschäftigt. ... Als Befürworterin einer Politik der kontrollierten Abgabe von hartem Stoff denke ich, man wird glaubwürdiger, wenn man nicht nur die anderen anklagt. Da redet ein Heroinabhängiger namens Christian Lossau über sich, seine Sucht und seinen Frust, und darüber, daß er nach 25 Jahren an der Nadel eine von der Allgemeinheit zu bezahlende Therapie absolvieren will. ... Lossau ist einer von vielen und durchaus nicht unsympathisch. Mehr noch, wie er da unter der Baseballmütze hervorblickt und erklärt, sein Ziel sei es, Profisegler zu werden, ist er normenkonform. Ebenso könnte er sagen, „mein Ziel ist es, Fußballprofi zu werden.“ Was liegt näher als die Befriedigung des eigenen Ego?

Aber eben um diese geistige Armut geht es und um mangelnde Bescheidenheit. Im Resümee des 44jährigen über sein Leben kommt keine Scham gegenüber Mitmenschen und eigenem Versagen auf, keine Andeutung von Verantwortung-Übernehmen. Höchstens noch Bedauern darüber, daß man nicht skrupellos genug ist: „Ich kann nicht klauen oder alten Omas die Handtasche wegnehmen.“

Dabei wurde Christian Lossau nicht etwa vom Schicksal gebeutelt. Im Gegenteil, er machte eine Erbschaft von 120.000 Mark, seine Mutter hielt laut eigenem Bekunden immer zu ihm. ... Lossau funktioniert längst als Mitglied der Spaßgesellschaft. Als einsichtiger Fordernder, dem die Gesellschaft pausenlos Hilfestellung zu leisten und Attraktionen zu bieten hat. Genug ohne Reue. Hier unterscheidet sich der ach so verkannte Junkie überhaupt nicht vom ruchlos nutznießenden Yuppie. Christine Böer