Kurzer Prozeß nach dem Schlußpfiff

Mit „Beschleunigten Verfahren“ geht die Justiz im bayerischen Fürth gegen Fußballrowdys vor. Im Schnitt dauert es knapp 28 Minuten bis zum Urteil. Staatsanwalt, Richter und selbst Angeklagte zeigen sich zufrieden  ■ Aus Fürth Bernd Siegler

„Fünf Glatzen mit kurzen Haaren und Bomberjacken sind im 177er Bus unterwegs zum Stadion.“ Gelächter in der engen Polizeikabine hoch oben auf der Haupttribüne des Playmobil-Stadions in Fürth. „Was denn nun? Haare oder keine?“ feixen die Beamten, als der Funkspruch eintrifft. Horst Arnold lacht nicht mit. Er steht hinter den Polizisten und ahnt, daß heute noch viel Arbeit auf ihn zukommt. Der FC Carl Zeiss Jena ist bei der Spielvereinigung Greuther Fürth zu Gast, und 700 Anhänger sind aus Thüringen angereist.

Arnold ist Staatsanwalt beim Landgericht Nürnberg-Fürth. Heute ist er als „Fußballstaatsanwalt“ bei diesem Zweitligaspiel vor Ort präsent. Im Rahmen des sogenannten Beschleunigten Verfahrens wird er, wenn Fußballrowdys einfache Straftaten begehen, sofort am nächsten Morgen die Anklage gegen sie vertreten.

„Die Leute sollen merken, daß die Justiz sofort etwas unternimmt.“ Er hofft auf die erzieherische Wirkung dessen, was Politiker mit der Losung „Die Strafe soll der Tat auf dem Fuß folgen“ umschreiben. Ganz populistisch heißt das: „kurzer Prozeß“.

Arnold hat auf dem Monitor, der abwechselnd das Geschehen auf den Fanblöcken zeigt, genug gesehen. „Also, die Wette gilt: 3:0 und drei polizeiliche Vorführungen“, verabschiedet er sich von den Beamten. Langsam, die Fanblocks stets im Visier, geht er die Treppe zur Haupttribüne hinunter. Sein Ziel ist die Polizeiwache unter der Tribüne. Er bleibt jedoch vorher bei einem Absatz stehen, schließlich will er auch noch etwas vom Spiel sehen. „Ich habe schon oft ein Tor verpaßt.“

Als die Spielvereingung Greuther Fürth letzte Saison in der Regionalliga kickte, gab es für den Fußballstaatsanwalt wenig zu tun. Fürth galt als Paradies der Ruhe. Dann stieg die Spielvereinigung auf und kämpft nun um das sportliche Überleben in der 2. Liga. Das hat Auswirkungen: „Die Abstiegsangst hat einige Fans aggressiver gemacht.“ Dasselbe gilt auch für den Fußballclub Carl Zeiss Jena. Zudem brächten, so Arnold, „Ost- Mannschaften vermehrt Fans mit, die sehr gewalttätig sind und sich völlig betrinken“.

Die Woche vor dem Spiel hatte Arnold von Kollegen aus Jena erfahren, daß dieses Mal wohl viele „C-Fans“ nach Fürth kommen werden. „A-Fans“, das sind im Polizeijargon die normalen Zuschauer. „B-Fans“ tragen Fankluft, fallen aber nur selten negativ auf. „C-Fans“ sind Arnolds Klientel: Hooligans in Bomberjacken, stets auf Randale aus. An diesem Sonntag ist deshalb in Fürth Großeinsatz der Polizei.

Als der Fürther Daniel Felgenhauser nach einem Sololauf aus 16 Metern in der 25. Minute zum 1:0 einschießt, reißt Arnold jubelnd die Arme hoch. Kein Unterschied zu den „A“- und „B-Fans“ in den Fürther Fanblöcken. Im Jena- Block bleibt es ruhig.

In der 60. Minute erhöht Fürth auf 2:0. Jetzt beginnen die ersten Hohngesänge der Einheimischen auf die Gäste aus Jena: „Absteiger! Absteiger!“ – „Das ist Öl ins Feuer“, ahnt Arnold. Kaum hat er zu Ende gesprochen, versinkt der Jena-Block auch schon im Nebel. „Eine Rauchbombe aus alten NVA-Beständen“, vermutet Arnold.

Eine Viertelstunde später gelingt Felgenhauer nach schönem Doppelpaß sogar das 3:0. Den Staatsanwalt reißt es vom Sitz: „Tor! Das war geil!“ Doch seine Freude ist nur von kurzer Dauer. Zwei Jena-Fans überklettern den Zaun und werden festgenommen. Gerangel und Geschiebe – der ganze Fanblock scheint nun in ständiger Bewegung zu sein. Das hält an bis zum Schlußpfiff.

„Die kritische Phase ist immer der Abmarsch der Fans.“ Arnold eilt in Richtung Polizeikabine und dann zum Stadionausgang. Dort wird gerade eine Gruppe aus Jena von der Polizei eingekesselt. Als Fürther Freudengesänge, vermischt mit „Wir sind Deutsche, ihr seid es nicht!“, ertönen, kommt es zum Gerangel. „Hauts nauf auf die Köpf!“ werden die Polizisten von umstehenden Passanten angefeuert.

Mit seinem Tip zum Spielergebnis lag Arnold – seit 24 Jahren bei jedem Heimspiel der Fürther dabei – goldrichtig. Doch mit drei Vorführungen bei der Polizei hat er sich gründlich verrechnet. 14 Festnahmen, so lautet die Einsatzbilanz. Die Liste der Straftaten reicht von Beleidigung über die Verwendung von Nazi-Symbolen bis hin zur Körperverletzung eines Polizeibeamten.

Letzteres wird Rene K. aus Jena zur Last gelegt. Der 29jährige Fliesenleger soll einen Beamten mit dem Fuß getreten haben. Er verbringt die Nacht in Haft.

Am nächsten Morgen steht er in Turnschuhen und unrasiert vor Amtsrichter Stephan Popp. Kurz nach Spielende hatte Staatsanwalt Arnold bereits mit dem geschädigten Polizisten gesprochen, sich das Videoband angesehen, K. verhört und beim Bundeszentralregister angefragt – Voraussetzungen für ein Beschleunigtes Verfahren.

Nun wird der nicht vorbestrafte K. von Richter Popp über seine Rechte belehrt. Der Jenenser verzichtet auf einen Anwalt und hört sich die mündlich vorgetragene Anklage von Arnold an. Die Protokollantin tippt eifrig mit; schriftlich gibt es die Anklageschrift erst nach dem Verfahren. Bei der Befragung des Richters gibt K. zu, sechs Bier getrunken zu haben und beim Abmarsch aus dem Stadion in eine Rangelei geraten zu sein. „Ich stand plötzlich in der ersten Reihe, wurde gegen einen Zaun gedrückt und habe den Polizisten irgendwie unbewußt mit dem Fuß erwischt.“

„Kaum vorstellbar“, sagt Richter Popp. Auf dem Video ist K.s Tritt gegen das Polizisten-Schienbein eindeutig dokumentiert. K. habe den Beamten „gestriffen“ und der habe einen „leichten Schmerz“ verspürt, hält Popp dem Angeklagten vor. Vorher habe K. noch seine Kapuze aufgezogen. „Das mache ich wegen dem Image“, betont der inzwischen schon recht kleinlaut gewordene Jenenser, der nun auch zugibt, „bewußt“ getreten zu haben.

Nachdem dies klar ist, schließt Popp nach etwas mehr als zehn Minuten die Beweisaufnahme. Arnold tritt in Aktion. Er geißelt den Alkohol in den Stadien, wertet K.s Tritt als „vorsätzliche Körperverletzung“, bemüht die Generalprävention und fordert zwei Monate auf Bewährung, 300 Mark Schmerzensgeld und 500 Mark zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung. „Ich nehme das Urteil an“, ist das letzte Wort des Angeklagten. Arnold lächelt ob solcher juristischen Unerfahrenheit.

Nach knapp zweiminütiger Bedenkzeit steht das Urteil. Richter Popp folgt darin dem Antrag des Staatsanwalts, nur die 500 Mark erläßt er dem Fliesenleger. In eindringlichen Worten macht er ihm klar, daß es „das nächste Mal Gefängnis“ gebe. K. akzeptiert das Urteil, ist froh, daß „alles so schnell gegangen“ ist, und fährt mit dem Zug nach Hause.

Stephan Popp ist seit neun Jahren Richter. Für Innenminister Manfred Kanther ist er eine wahre Freude. Landauf, landab spricht Kanther der Justiz die „Innovationsfähigkeit“ ab, weil sie die Ende 1994 geschaffene Möglichkeit des Beschleunigten Verfahrens nicht so recht wahrnimmt. Dank Popps Eigeninitiative gehört sie nun zum Alltag – zumindest in Fürth. Seit August letzten Jahres liefen dort 144 derartige Verfahren, und Popp hat exakt Buch geführt. „Wir bestrafen nicht höher, sondern nur schneller“, stellt der 37jährige fest. Er hat die durchschnittliche Verfahrensdauer exakt berechnet: 27,39 Minuten bis zum Urteil.

„Niemand wird in seinen Rechten beschnitten“, weist Richter Popp Vorwürfe gegen das Beschleunigte Verfahren zurück. Die Kritiker dieser Praxis befürchten, daß sich die Angeklagten dabei über den Tisch ziehen lassen oder Angst haben könnten, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen. „Wenn etwas nicht glattläuft, ziehen wir sofort die Notbremse“, bekräftigt der Amtsrichter. In insgesamt 144 Verfahren sei nur in neun Fällen das Geständnis widerrufen worden oder seien weitere Ermittlungen erforderlich gewesen. 26 Freiheitsstrafen ohne und 61 mit Bewährung, ansonsten lediglich Geldstrafen – so lautet die bisherige Bilanz.

„Die Betroffenen sind damit sehr zufrieden“, entnimmt Popp den 113 Urteilen, die sofort in Kraft traten, da auf Rechtsmittel verzichtet wurde. Ein lange schwebendes Verfahren hingegen bedeute doch immer eine „unheimlich belastende Unsicherheit in der Lebensplanung“, bricht auch Arnold eine Lanze für das Beschleunigte Verfahren.

Nach dem kurzen Prozeß gegen K. kann Arnold das Spiel gegen Carl Zeiss Jena erst einmal abhaken. Die Vorfälle mit den Nazi- Emblemen allerdings bedürfen weitreichenderer Ermittlungen. „Das war mit Abstand mein schwierigster Einsatz im Fußball“, resümiert der Staatsanwalt, der in seiner Freizeit selbst das Leder tritt. Sein nächster Einsatz steht am 7. Juni an. Dann spielt Energie Cottbus am letzten Spieltag beim 1. FC Nürnberg.