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Laster und Bahnhöfe strahlen

Seit Jahren schicken französische AKW-Betreiber Atommülltransporter nach La Hague, deren Außenstrahlung die Grenzwerte ums 500fache überschreitet. Grüne fordern Untersuchungskommission  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Wer zwischen Valogne und dem Kap La Hague in der Normandie unterwegs ist, sollte den Geigerzähler nicht vergessen. Denn auf der 30 Kilometer langen Strecke zwischen dem Güterbahnhof und der Wiederaufarbeitungsanlage an der französischen Atlantikküste sind beinahe täglich Laster unterwegs, deren Ladung in alle Richtungen strahlt. Die Elemente Caesium 137 und Kobalt 60 finden sich auf der Außenseite der Transportbehälter. In bis zu 500mal höherer Konzentration als das Gesetz erlaubt, wie Mycle Schneider, Sprecher der unabhängigen Umweltorganisation WISE in Paris, erklärt.

Seit mindestens 1990 war den Betreiberfirmen die Außenstrahlung der Atommüll- und Brennstabtransporte bekannt. Cogema, EDF und Transnucléaire wußten, daß Eisenbahner und Lkw-Fahrer einer unzulässigen Strahlenbelastung ausgesetzt sind. Aber getan haben sie nichts.

Weder die Umweltministerin noch die Atomkontrollbehörden, noch die Arbeiter wußten Bescheid. Erst gestern erfuhr die Öffentlichkeit aus einem Bericht der Tageszeitung Libération, daß die Geheimnistuerei im Atomstaat Frankreich wie gehabt weitergeht.

Die grüne Umweltministerin Dominique Voynet zeigte sich „schockiert“. Die sechs grünen Abgeordneten im Parlament verlangen eine Untersuchungskommission. Voynet erklärte, ihrem Ministerium fehlten zwar noch Informationen, aber es sei bereits klar, daß Strahlungen von bis zu 2.000 Becquerel pro Quadratzentimeter auf der Außenhaut der Transportgüter und -mittel gemessen worden seien. Unter anderem erwähnte Voynet ein „nicht gemeldetes“ Dekontaminierungslokal am Bahnhof von Valogne. Bereits nach einem zweistündigen Aufenthalt in diesem Lokal habe man ein Zwanzigstel der jährlich zugelassenen Strahlungshöchstmenge aufgenommen.

Voynets Gegenspieler in der französischen Regierung, Industrieminister Christian Pierret, nannte die Berichte über die Transporte ein „Nichtereignis“. Auch die direkten Sprecher der Atomindustrie versuchten, sich mit Hinweis auf die im Einzelkontakt ungefährliche, weil „niedrige“ Strahlenmenge aus der Affäre zu ziehen. Der französische Elektrokonzern EDF und die Atommüllverarbeitungfirma Cogema sprachen von einer „ungefährlichen Oberflächenstrahlung“. Als Ursprung des Elementes Kobalt 60 auf den Containern nennen sie die Kühlbecken, in denen abgebrannte Brennstäbe mehrere Jahre lagern, bevor sie in die Wiederaufarbeitungsanlage von La Hague transportiert werden.

Aus einem internen Dokument des Transportunternehmens Transnucléaire vom November 1997, das Libération zitiert, geht hervor, daß die Betreiber tatsächlich auch über hohe Strahlungen informiert waren. Danach hatte zumindest ein Waggon im vergangenen Jahr „auf einem großen Teil seiner der Öffentlichkeit zugänglichen Oberfläche eine Strahlung von mehreren hundert Becquerel pro Quadratzentimeter“. Die gesetzlich zulässige Menge liegt bei 4 Becquerel pro Quadratzentimeter.

Der größte Teil des in der WAA La Hague wiederaufbereiteten Materials stammt aus Frankreich. Unter den ausländischen Kunden haben deutsche Energiekonzerne traditionell das größte Gewicht. Von den seit 1976 bis zum 1. März 1998 in La Hague wiederaufbereiteten 12.124 Tonnen nuklearen Brennstoffs stammten allein 3.552 Tonnen aus deutschen Atomkraftwerken. Für die Zeit nach dem Jahr 2000 haben die deutschen Großkunden sich bereits verpflichtet, mindestens weitere 2.000 Tonnen ihres strahlenden Brennstoffs zur Wiederaufbereitung in die Normandie zu schicken.

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