"Wer die Hoffnung verliert, ist tot"

■ Faradsch Sarkuhi kam gestern in Frankfurt an. Der iranische Schriftsteller und Regimekritiker spricht über seinen Leidensweg im Gefängnis und seine Hoffnungen auf Veränderungen in seiner Heimat

taz: Was ist Ihnen im Gefängnis wirklich zugestoßen?

Faradsch Sarkuhi: Was ich vor über einem Jahr in meinem offenen Brief in der taz geschrieben habe, ist nicht die ganze Wahrheit. Ich war damals sehr unter Druck und konnte nur einen Teil meiner Geschichte erzählen. Ich wurde nach der Veröffentlichung des Briefes wieder verhaftet. Die iranischen Behörden haben von mir verlangt, eine weitere Pressekonferenz zu geben und zu behaupten, ich hätte den Brief nie geschrieben. Ich habe das abgelehnt. Ich saß neun Monate in einer Einzelzelle. In dieser Zeit wurde ich gefoltert.

Sie sind körperlich mißhandelt worden?

Ja. Ich bin mit allen möglichen Gegenständen geschlagen worden, und sie haben mir mehrfach gedroht, mich umzubringen. Sie haben versucht, allerlei falsche Geständnisse aus mir herauszupressen. Sie haben versucht, eine Akte über mich anzulegen. Ich war damals völlig isoliert. Ich wußte nicht, was außerhalb des Gefängnisses über mich bekannt war. Aber nach neun Monaten im Gefängnis ließ der Druck auf einmal nach. Dann haben sie mich vor ein Revolutionsgericht gestellt. Die Öffentlichkeit war ausgeschlossen.

Hatten Sie einen Anwalt?

Sie haben mir einen Pflichtverteidiger zugeteilt. Interessanterweise war dieser Mensch zu Zeiten des Schahs Richter am Militärgericht. Ich kannte ihn noch, da ich auch damals schon aus politischen Gründen im Gefängnis saß. Genau diese Person sollte mich nun verteidigen. Er hat sich vor Gericht praktisch nicht geäußert. Er wußte gar nichts über meinen Fall. Ich habe dagegen protestiert und mich selbst verteidigt. Ich habe verlangt, daß das Verfahren öffentlich stattfindet, aber das wurde abgelehnt. Ich habe dann erklärt, daß ich für die Freiheit der Schriftsteller einstehe, für die Gründung eines freien Schriftstellerverbandes, nach Vorbild des PEN. Das ist schließlich im Iran nicht verboten, und wenn man mir das zum Vorwurf machen sollte, sei das nicht die Angelegenheit eines Revolutionsgerichts, sondern eines ganz normalen Gerichts.

Das haben sie akzeptiert, und da habe ich gemerkt, daß sich etwas verändert hatte. Sie haben mich dann verurteilt, mit der Begründung, daß ich den Brief an meine Frau geschrieben habe, der veröffentlicht worden ist. Sie haben mich dann in das Tohid-Gefängnis gesteckt, das gehört zum Informationsministerium. Später bin ich dann in das Evin-Gefängnis verlegt worden.

Haben Sie mit Ihrer Freilassung gerechnet?

Am Anfang nicht. Ich dachte, alle Leute glauben, ich sei tot. Und irgendwann habe ich selbst geglaubt, daß ich tot bin. Man sitzt in einer Zelle und wartet, und jedesmal, wenn sich die Tür öffnet, denkt man: Jetzt ist es aus. Bei jeder Mahlzeit denkt man: Das ist die Henkersmahlzeit. Man hat das Gefühl, die Grenze zum Tod überschritten zu haben. Ich glaube, wenn jemand nach seinem Tode wiedergeboren würde, sähe er die Welt ähnlich wie ich jetzt. Aber als sie mich dann im vergangenen September zu einem Jahr Gefängnis verurteilt haben, hatte ich Hoffnung, daß sich die Situation gebessert haben könnte.

Glauben Sie, daß die Wahl von Mohammad Chatami zum neuen iranischen Präsidenten im vergangenen Sommer zur Besserung Ihrer Lage beigetragen hat?

Ich habe meine Freilassung all jenen Menschen und Medien zu verdanken, die sich für mich eingesetzt haben. Für meinen Fall war zuallererst diese internationale Hilfe und erst dann die Veränderung in der iranischen Gesellschaft entscheidend. Wenn die Menschen deutlich machen, daß sie sich die bestehenden Verhältnisse nicht mehr gefallen lassen, muß es irgendwann eine Veränderung geben. Und der dritte Punkt ist die Wahl Chatamis. Damit haben die Iraner klar gemacht, daß sie Freiheit wollen. Das größte Problem im Iran ist, daß wir eine Tradition der Despotie haben. Was wir jetzt im Iran erleben, ist ein Konflikt zwischen dieser Tradition und dem Modernismus. Der findet in allen Bereichen statt: Kultur, Politik, Wirtschaft – im täglichen Leben. Ich hoffe, daß jetzt die Zeit reif ist, damit wir das größte Problem der iranischen Gesellschaft lösen können: den Konflikt zwischen Despotie und Demokratie.

Glauben Sie, daß Sie auch ohne die Wahl Chatamis freigelassen worden wären?

Das weiß ich nicht. Aber entscheidend für meine Freilassung war, daß ich zu einem internationalen Fall geworden bin. Ohne diese Unterstützung wäre ich wohl längst tot. Die iranische Regierung reagiert auf internationalen Druck. Sie muß schließlich an ihre eigenen internationalen Interessen denken.

Sind Sie optimistisch, daß sich die Situation für iranische Intellektuelle unter der Regierung von Chatami verbessern wird?

Ich hoffe, ich wünsche es. Wenn man seine Hoffnung verliert, ist man tot. Im Iran muß man immer Hoffnung haben, um zu überleben.

Wollen Sie in den Iran zurückkehren?

Ja, aber ich weiß nicht, wann. Ich will dort arbeiten. Ich weiß nicht, ob sie das zulassen werden. Aber ich will es versuchen. Als Autor und Journalist ist es schließlich mein Recht, in meinem Land zu leben und dort zu arbeiten.

Glauben Sie, daß die Chancen dafür heute besser sind als vor einem Jahr – vor der Wahl Chatamis?

Mit der Wahl haben die Leute im Iran sich auf der politischen Bühne zurückgemeldet. Die Menschen wissen jetzt, welche Macht sie haben. Ausländische Beobachter denken meist nur an den Konflikt zwischen den beiden Flügeln der iranischen Regierung. Viel wichtiger ist aber das Verhalten der Bevölkerung. Sie ist der Dritte in diesem Spiel. Die Leute haben Chatami gewählt, weil er ihnen Freiheit versprochen hat.

Vertrauen Sie diesem Versprechen?

Freiheit ist keine Sache des Vertrauens, sondern des Engagements der Bevölkerung. Das hat mich meine Erfahrung gelehrt. Interview: Thomas Dreger