Tokio, aggressiv

■ Die Gewalt des „Japanese Cult Cinema“ – im Alabama

Noch bis zum 14. Mai findet im Alabama das Festival New Japanese Cult Cinema statt. Organisiert wurde es von Johannes Schönherr, einem Weltreisenden in Sachen Off-Kino. 1983 kam der Ex-Totengräber aus der DDR nach Nürnberg. Vom legendären KOMM aus holte er den US-Underground-Filmer Richard Kern, zeigte Filme wie Chappaqua und präsentierte das Cinema of Transgression. Wenn er nicht in Japan oder anderswo unterwegs ist, wohnt er in New York.

taz hamburg: In dem Film Tetsuo verwandelt sich ein Mann in ein Metallwesen und träumt von der totalen Identität mit der toten Welt der Warenökonomie. Wenn er sich allerdings mit einem rotierenden Metallpenis seiner Freundin nähert, fühlt man sich an die „Körperpanzer“ erinnert, auf denen nach Theweleit faschistische Männlichkeitskonzepte beruhen.

Johannes Schönherr: Der Film handelt natürlich auch vom Druck, der auf japanischen Männern lastet. Die gehen 12 Stunden ins Büro und müssen dann mit den Kollegen bis Mitternacht trinken. Solche Arbeitsmaschinen sehen ihre Frauen oft gar nicht mehr. Da liegt es ja nahe, daß sich so eine menschliche Maschine in eine gewalttätige verwandelt. Während amerikanische Cyber-Filme auf einer Faszination des Eintauchens in Computer-Welten basieren, verwandeln sich in japanischen die Menschen selbst in Metall-Kreaturen.

Tetsuo changiert zwischen Experimental-Film-Techniken und Exploitation-Thematik.

In allen Filmen des Programms finden wir das. Einerseits haben sie einen Kunstbezug, andererseits mögen die Regisseure auch Exploitation-Filme. Aber sie müssen natürlich auch Zuschauer bekommen – in Japan gibt es ähnlich wie in den USA keine Zuschüsse. Und es gibt eine gewisse Sympathie der Regisseure für Gewalt und Außenseiter. Die einzige richtige Schauspielerin in Junk Food ist die Bürofrau, alles andere sind Amateure. Die blinde Frau ist die Mutter des Regisseurs. Die Hauptdarstellerin in Carnival Of The Night ist Stripperin. Mit der akademischen Avantgarde, aber auch mit der japanischen Tradition wollen die von mir präsentierten Filmemacher nichts zu tun haben.

Unvermittelte Gewaltausbrüche spielen eine zentrale Rolle. Manchmal hat man den Eindruck, die Filme sprechen von einer regelrechten Gewaltsehnsucht.

Die Gewalt in diesen Filmen ist eine Phantasiegewalt, weil die japanische Gesellschaft sehr hierarchisch aufgebaut und harmonieorientiert ist. Gewalt ist in ihr kein reales Problemlösungsmittel. Sowas wie Kneipenschlägereien gibt es dort kaum, Gewalt ist stark internalisiert. Es wäre falsch, darin eine direkte Reflexion des Alltags zu sehen. Unter repressiven Bedingungen hat Gewalt ja auch etwas Befreiendes im Sinne von Bataille. Das findet aber auf der künstlerischen Ebene statt, oder, wie in Junk Food, durch Kontakt mit den wenigen Außenseitern. Oftmals sind das „chita“-Jugendgangs, Junkies, Biker. Wenn reale Gewalt ausbricht, rüttelt das am Selbstverständnis der Gesellschaft, so wie im Jun-Hase-Fall. Dabei ging es um einen behinderten Schüler, dessen Kopf auf dem Schultor gefunden wurde. Beigelegt war ein Brief, in dem weitere Morde angekündigt wurden. Die Polizei stellte ein Täterprofil auf und vermutete einen isolierten Mitt-Dreißiger. Dann stellte sich heraus, daß es sich um einen 14jährigen Schüler handelte.

Interview: Tobias Nagl