Postel narrt das Land

■ Das Bremer Fälschergenie Gerd Uwe Postel hat seine Karriere bis Esslingen fortgesetzt / Eine Amtsrichterin half dabei

Seit einem Jahr fahndet die Kripo bundesweit nach Gerd Uwe Postel, dem falschen Amtsarzt Dr. Dr. Bartholdy, der sich in Bremen einst selbst ein Abi-Zeugnis des alten Gymnasiums schrieb und siegelte – um dann in Flensburg eine Mediziner-Karriere zu starten. Wegen einer „positiven Prognose“ war Postel vom Bremer Amtsgericht dafür 1986 nur milde bestraft worden; elf Jahre später flog er dann in Leipzig auf, wo er sich unter seinem richtigen Namen, Postel, als „Arzt“ erfolgreich beworben und später sogar Gerichtsgutachten geschrieben hatte (vgl. taz 23.7.97).

Seitdem lebt Postel undercover – oder eigentlich doch nicht. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) gestern berichtete, soll das Betrügergenie Postel im schwäbischen Esslingen leben – ausgerechnet zusammen mit einer Amtsrichterin, die den Gesuchten regelrecht gedeckt und versteckt haben soll, als die Dresdener Kripo bei ihr vorstellig wurde.

„Wir wußten von all dem nichts“, erklärte der Sprecher des Amtsgerichts gestern, nach Lektüre der FAZ-Berichtes, gegenüber der taz. Natürlich sei sofort ein Disziplinarverfahren gegen die mit Postel liierte Amtsrichterin eingeleitet worden.

Bei ihrer Suche nach dem flüchtigen Bremer Fälscher-Genie ist die Polizei inzwischen aber anscheinend noch nicht weiter gekommen. Bei der Kripo Dresden ist Postels Aufenthaltsort unbekannt – und auch die Esslinger Polizei hatte von dem Thema bis gestern nachmittag noch nichts gehört. „Hier ist der Fall nicht bekannt“, erklärte der Esslinger Polizeisprecher nach Rücksprache mit seinen zuständigen Ermittlern und bat die Bremer taz, den fraglichen FAZ-Artikel doch einmal aufs Fax zu legen. Was wir gern taten. Doch auch nach der Lektüre des Berichtes erklärte der Polizeisprecher: „Der Postel-Fall ist bei der Polizei nicht bekannt.“ So wurde gestern auch in Esslingen kein Versuch unternommen, den Flüchtigen festzunehmen.

Das wäre nach all den Details, die die FAZ zu erzählen wußte, vermutlich ohnehin ein Schlag ins Wasser geworden. Schon einmal nämlich war die Polizei dem flüchtigen Hochstapler dicht auf den Fersen . In Berlin standen die Fahnder sogar einmal vor Postels Wohnungstür. Daran klebte ein Zettel, auf dem Postel einem „Peter“ mitteilte, er sei für Wochen in Bremen „bei Susanne“. Die Polizei zog ab – Postel beobachtete die Szene durch den Türspion. Als „Staatsanwalt Dr. Stecher“ war Postel zuvor in die Bibliothek der Polizeiführungsakademie spaziert und hatte sich dort aus erster Hand über die Arbeitsweise der Zielfahnder informiert.

Erst in Esslingen aber hat Postel jetzt eine Richterin gefunden, die ihm in jeder Hinsicht half. Die mit dem Gesuchten Verbandelte steckte Postel während eines laufenden Gerichsverfahrens ihren persönlichen Schlüsselbund zu – und der Hochstapler erhielt damit Zugang zum Richterzimmer, ging, wo er sich an die Schreibmaschine setzte, um sich auf einem mitgebrachten Blanko-Dokument ein neues Abiturzeugnis auszustellten. Der Coup gelang. Während Postel dort tippte, soll sogar ein anderer Richter den Raum betreten und gesagt haben: „Sie habe ich hier nicht erwartet.“ Dennoch wurde dem Amtsgericht Esslingen die Tatsache, daß sich der zur Fahndung ausgeschriebene Mann dort ein und ausging, erst durch die Veröffentlichung der FAZ bekannt.

Auch die ermittelnde Kripo in Leipzig übrigens hatte die FAZ nicht gelesen. Die dort geführten Zielfahnder erfuhren erst durch die BILD-Zeitung Leipzig, daß da was in der Zeitung stand. Und da die Interna, die der FAZ-Kollege ausbreitete, so detailliert waren, daß sie bei weitem den Wissensstand der Kripo überstiegen, war dort sofort klar: Der Informant des FAZ-Redakteurs konnte nur Postel sein.

Allerdings scheint Postel, der die ganze Republik an der Nase herumführt, dem Journalisten reinen Wein eingeschenkt zu haben. Jedenfalls ist der Leipziger Kripo nichts aufgefallen, was offenkundig falsch sein müßte. Und der in der Sache Postel ermittelnde Leipziger Staatsanwalt Clemens Dahms findet es überhaupt nicht lustig, in der Zeitung lesen zu müssen, daß Postel bei seinen Lufthansa-Flügen ausgerechnet seinen Namen als Alias-Namen benutzt hat ... K.W.