Die letzten Tage im Bunker „Valentin“

■ Ein Großprojekt und andere Akzente: Kresnik inszeniert in der nächsten Theatersaison Kraus in der Farger Ruine

Ob das die richtige Kleidung ist? Kultursenatorin Bringfriede Kahrs diesmal in hellgrauem Kostüm, türkiser Bluse – oberster Knopf geöffnet – und türkisem Einstecktuch in der Jackentasche. Theaterintendant Klaus Pierwoß wieder mal ganz in Schwarz, auch das Hemd – oberster Knopf geöffnet. Nein, das ist bestimmt nicht die richtige Kleidung für das spektakulärste, beklemmendste und vielleicht auch nur effekterheischendste Projekt, welches das Bremer Theater in der kommenden Spielzeit präsentieren will: Karl Kraus' „Die letzten Tage der Menschheit“, im U-Boot-Bunker „Valentin“ zu Bremen-Farge dargestellt durch die Schauspielgruppen des Bremer Theaters und des MOKS-Theaters unter Anleitung von Herrn Kresnik.

Als ein Mammutprojekt kündigte Pierwoß das Vorhaben gestern bei der Bekanntgabe des neuen Spielplans an. Denn bislang fanden in der Bunkerruine allerhöchstens Lesungen statt. Doch für die Inszenierung der 80 Jahre alten Kraus-Apokalypse müssen vor der Kleiderfrage noch viele andere Probleme gelöst werden. „Mit einem kleinen Bühnenpodest“, so Klaus Pierwoß, „wird sich Kresnik nicht zufriedengeben.“ Und das Publikum nicht mit Lücken in der Infrastruktur.

Formeller Anlaß für diese Außenproduktion, die Ende Mai 1999 herauskommen soll, ist der Bau der Probebühnen über den Dächern der Theatergebäude. Schon in diesem Sommer soll es damit losgehen. Das Architekturbüro Schomers und Schürmann hat Pierwoß zufolge zugesagt, daß der Spielbetrieb im Schauspielhaus nicht eingeschränkt werden muß. Wenn doch, gibt es eine Alternative.

Von diesem Spektakel abgesehen, könnte der fünfte Spielplan der Ära Pierwoß mit dem Thomas-Albert-Musikfest-Attribut versehen werden: „Zwischen Tradition und Moderne“ schwankt die Mischung in den Sparten und hat aber hier einen anderen Sinn. Denn im Gegensatz zum Albert-Festival serviert das Theater nicht einfach eine Starparade, sondern setzt unter der Rubrik „Tradition“ die inzwischen mehrjährige Zusammenarbeit mit RegisseurInnen fort und verschiebt in Sachen „Moderne“ die Akzente vor allem im Schauspiel auf Zeitgenössischeres.

Zur musikalischen Saisoneröffnung am Goetheplatz am 3. Oktober darf sich Andrej Woron („Dreigroschenoper“, „Marat/de Sade“) als Opernregisseur bewähren. Der Wahlberliner inszeniert in Zusammenarbeit mit Günter Neuhold am Dirigentenpult Verdis „Otello“. Zwei Wochen später wird Johannes Kalitzkes Auftragswerk „Molière“ uraufgeführt, womit das Bremer Theater auf die Förderung zeitgenössischen Musiktheaters setzt und weiter setzen will. Johann Strauß' „Fledermaus“, Wagners „Fliegender Holländer“, Mozarts „Hochzeit des Figaro“ und Puccinis „Manon Lescaut“ vervollständigen die sechs Inszenierungen.

Am 9. September eröffnet das Schauspiel mit Tschechows „Drei Schwestern“. Kurz danach folgt Schillers „Kabale und Liebe“. Mit beiden Stücken wird das (bil-dungs-) bürgerliche Publikum auf Anhieb etwas anzufangen wissen. Doch das ist später nicht mehr der Fall: Urs Widmers „Top Dogs“ über Arbeitslosigkeit in Kreisen der Chefetagen, Patrick Marbers Sex- und Internetkomödie „Hautnah“, Elfriede Jelineks „Sportstück“ und Marius von Mayenburgs „Feuergesicht“ markieren bei insgesamt elf Inszenierungen einen deutlichen Schwerpunkt auf dem zeitgenössischen Schauspiel.

Im Tanztheater planen beide ChoreographInnen jeweils eine Uraufführung: Susanne Linke hat (wegen „Titanic“?) Interesse am Thema Wasser und seinen Aggregatzuständen gefunden, Urs Dietrich will die Debussy-Oper „Pelléas und Mélisande“ variieren. Für Kinder gibt's vor Weihnachten eine Inszenierung von Endes „Momo“, und im MOKS-Theater will der im Sommer 1999 scheidende Leiter Martin Leßmann drei Uraufführungen herausbringen. ck