Village Voice
: Die kleine Revolte in Römerlatschen

■ Mit „Im elektromagnetischen Feld“ testen Keimzeit die Loyalität ihrer (treuen) Fans

Hey, werden die notorischen Gebrüder Leisegang etwa noch zu Rockern? Da gibt es auf der neuen Platte namens „Im elektromagnetischen Feld“ doch tatsächlich dieses Stück „Salute“, in dem Keimzeit plötzlich ziemlich stumpf losstampfen, als gelte es, Punk neu zu erfinden – jedenfalls in den Grenzen des Sextetts aus dem brandenburgischen Belzig. Doch dann, wie ertappt, nehmen sie sich wieder zurück und daddeln ein wenig psychedelisch herum. Allerdings: Das folgende „B.H.“ wird getragen von einem schneidenden Power-Rock-Riff, das sich gefährlich nahe am Hardrock tummelt. Wo sind die diffizilen Geflechte aus Folk, Blues und ein wenig Soul hin, die Keimzeit sonst übervorsichtig webten?

Da wird die Loyalität der bekanntermaßen treuen Keimzeit-Fans ziemlich getestet. In „Gestern“ wird gar von vorne bis hinten durchgebratzt. Und „Das Projektil“ hört sich richtig modern an – wie Readymade etwa. Vom Produzenten Franz Plasa, der schon bei Selig Hand anlegte, haben sie sich außerdem noch ein paar elektronische Beats programmieren lassen. Und aufgenommen haben sie erstmals nicht in Berlin, sondern im fernen Brüssel. Das alles entspricht im Keimzeit-Kosmos ungefähr dem Untergang des Abendlandes.

Natürlich gibt es auch auf diesem fünften Studio-Album noch die altbewährten Momente – kreischt das Saxophon in all seiner Klischeehaftigkeit, tröpfelt es hier und dudelt es da, lädt ein entspannter Groove eher zum Seele baumeln lassen als zum Tanzen ein – aber ganz eindeutig sind das nicht mehr die leisetreterischen Keimzeit: nicht mehr der Inbegriff des Ost- Rock, nicht mehr jenes souverän betuliche Ensemble, das ganz zufrieden mit seinem Dasein weder die eigene 15jährige Vergangenheit verrät noch irgendwelche Moden mitzumachen glaubt. Nicht, daß sie die Römerlatschen gleich gegen Plateausohlen eingetauscht hätten. Aber „Im elektromagnetischen Feld“ ist ganz eindeutig das Bemühen anzuhören, wenn schon nicht moderner zu werden, dann sich doch wenigstens überhaupt zu verändern. So singt Norbert Leisegang leicht resignierend „Ich hab' den Zug verpaßt, auf den am Ende alles springt“. Doch einer so hübsch interpretierbaren Aussage folgt schnell wieder die übliche Kryptik: „Ich hab' gesetzt auf die sieben, doch gewonnen hat die vier.“

Also kann man sich wenigstens noch auf Leisegangs vorsichtige Texterei verlassen? Auch nicht so ganz. So fehlt das sonst omnipräsente Wasser diesmal: keine Schiffe, keine Matrosen, kein Fernweh wie sonst. Zwar wird wieder mal ausführlichst in der Wunde gewühlt, die die Liebe schlug, aber irgendwie anders, nämlich ohne die alte Leichtigkeit, die kleine süße Selbstironie, sondern ziemlich konkret und fast schon blutig.

Die Metaphern, mit denen die Texte sonst überladen waren, daß nichts und alles in sie hineininterpretierbar wurde, müssen sich diesmal recht einschränken. Fast scheint es, als seien Norbert Leisegang und mit ihm wohl auch der standhafte Keimzeit-Hörer nun doch im Westen angekommen, hätten kurz innegehalten und festgestellt, daß zwischen den Zeilen lesen keinen Sinn mehr macht. Daß man es in der neuen Heimat auch weiterhin trotzig gar nicht so toll finden muß, läßt sich aber weiterhin ohne Probleme interpretieren: „Am Himmel weit und klar wird die Nacht dünn und rar / Gebt der Avantgarde das Licht.“ Thomas Winkler

Keimzeit: „Im elektromagnetischen Feld“ (K&P/BMG)

Record Release Party am 11.5. im Miles, Greifswalder Straße 212/213; außerdem am 30.5. auf der Freilichtbühne Weißensee