...und Flot, das Rüsseltier

Filmfest ohne Höhlenangst: ein Studentenfilmtag in Babelsberg  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Das war mir schon sehr merkwürdig vorgekommen, wie viele wohlgenährte Familien zu den Studentenfilmtagen strömten... Dabei war ich bloß bei der Babelsberger Studiotour gelandet. Und dann, angekommen am richtigen Platz, ein schöner wilder Rasen zwischen zwei massiven Gebäuden, kam mir die Sache wieder vertraut vor: Die Studenten zeigen ihre Filme, und keiner kommt. – Dachte ich, bis ich in das riesige Studiokino eingelassen wurde und im Dunkeln über Leute stürzte, die wegen Überfüllung auf den Treppen saßen.

Mit der Bosheit des Kritikers war ich zu den Studentenfilmtagen der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“, speziell zum Themenblock „Obsessions“ angereist, weil das nach Bekenntnis und Peinlichkeit riecht, und war erstaunt, daß gleich zwei Filme in altertümlich obsessiver Manier in Schwarzweiß gedreht waren. Offenbar gibt es aus akademischer Sicht dafür noch gute Gründe.

Als ich wieder wegfuhr, acht Stunden später, kam mir die Berlinale langweilig vor, im Vergleich: zwei mißlungene Wettbewerbsfilme, und der Tag ist vorbei. In Babelsberg paßt auf zwei Stunden ein „Block“, macht dreißig Filme vom Nachmittag bis nach Mitternacht. Vom einminütigen „Krokodie sa neserie“ – die komprimierte, gezeichnete Fassung eines Todes beim Toilettenbesuch – bis zu einem schweigsamen Epos über den autistischen Sohn einer Prostituierten: „A Hal – Ikutuüsz“ – 27 Minuten und überhaupt nicht mehr studentisch, sondern großes Kino von György Palfi (Akademie für Film und Drama, Budapest).

Während „A Hal“, auch durch die finnisch-ugrische Sprache, vage an Kaurismäki denken ließ, ist ansonsten kein zeitgenössisches Kino so stark, daß es stilistisch durchschlagen würde bis in die Schulen. Dabei sind die meisten Zehn- bis Fünfzehnminüter formal durchaus entschieden und technisch meist makellos. Doch strukturell sind sie entweder die Miniatur einer größeren Erzählung, oder man setzt auf Wiederholung und Varianz – das visuelle Poem.

Wenn der Kritiker ein Pädagoge wäre, würde er sagen: Es ist alles erlaubt, nur nicht das Filmemachen über das Filmemachen. Und hätte da zwei gute Beispiele an der Hand. Das eine: die „Last Post“, eine mit 18 Minuten reichlich überdehnte Huldigung einer jungen Frau an einen selbstverliebten Regisseur (Anat Dotan von der Sam Spiegel Film School in Jerusalem). Das andere: „Liebe ist Geschmackssache“, ein entnervendes Singspiel von Bernhard Marsch und Piet Fuchs aus Köln. Da soll das Pornomilieu karikiert werden, aber die neue deutsche Schamlosigkeit hat auch hier zugeschlagen; viele Einblicke ersetzen keine Einsicht. Doch das dritte Beispiel widerlegt den Pädagogen: Den Film, „Höhlenangst“, hat Benjamin Quabeck von der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg gedreht? ...gezeichnet? ...gebastelt? Das Publikum war begeistert.

„Höhlenangst“ handelt von einem Tierchen mit Saugrüssel, das in einem einsamen Bunker in den Bergen ein Ungeheuer hält. Es sitzt im Hauptraum des Hauses und wird über Kran gefüttert. Damit es nicht restlos böse wird, muß ihm Flot, das Rüsseltier, Filme zeigen, und die zeichnet Flot selbst: Wenn die Bildermanufaktur versagt, gibt es einen Aufstand. Es ist interessant, daß der Moment, in dem das Ungeheuer seine Pranke durch die Wand schlägt, nicht weniger erschreckend ist als im Horror-Genre, das „Höhlenangst“ – unter anderen! – karikiert.

Studenten dürfen als „Ich“ in Erscheinung treten, und es gab etliche Filme, wo das „Ich“ aus dem Off spricht. Der schärfste Ich-Film kam von Jan Peters aus Hamburg: „November, 9 (Ende)-13“, ein groteskes Tagebuch des Filmmenschen auf der Autobahn, der in Belgien Verbrechen nachspürt, in der Gewißheit, daß „ich mich verdächtig mache, weil ich absichtlich in eine andere Richtung gucke“. Die bis ins Zittern der Fingerspitzen kontrollierte Montage des Materials gefiel dem Projektor so gut, daß er den Film zweimal zerriß und somit eine dreimalige Aufführung erzwang, was den Peters-Effekt nicht minderte. „Ich weiß auch nicht“, brüllte schwitzend Axel, der Conférencier, „ob ich die Party empfehlen soll – oder das Filmprogramm!“

Es gibt Filme, die registriert man nicht, wenn man sie sieht, aber später nimmt die Haftung zu. Wie „Villeneuve“: Nun gut, es gibt bessere Schauspieler und lebhaftere Skripts; aber: es gibt auch wunderbare Spielfilme über sehr abstrakte Locations, und dies war einer, farblich gebleicht bis auf die Faser (Jakob Hilpert für die DFFB). Wenn man das in den großen Kinos wiedersehen würde, wäre die Rossini- Ära vorbei und viel gewonnen.

Nächstes Mal, habe ich mir vorgenommen, komme ich nicht nur am Samstag. Hoffentlich ist das Festival bis dahin nicht gestrichen worden, und hoffentlich gibt es auch dann wieder die vegetarische Pizza.