„Den Iran aus dem Reich des Bösen zurückholen“

■ Günther Verheugen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, über seinen Besuch in Teheran und eine mögliche Änderung der deutschen Iran-Politik nach einem Regierungswechsel in Bonn

taz: Herr Verheugen, warum haben Sie als einer der ersten deutschen Spitzenpolitiker nach der Mykonos-Affäre jetzt den Iran besucht?

Verheugen: Nun ja, Möllemann war schon vor mir da. Nein, ich wollte mich nach dem Wechsel im Präsidentenamt aus erster Hand informieren. Außerdem habe ich die iranische Regierung, wie die Regierungen anderer Länder auch, über die außenpolitischen Positionen der SPD informiert.

Und, war Herr Chatami interessiert?

Sehr, ich hatte den Eindruck, daß die iranische Regierung auf einen Regierungswechsel in Bonn hofft, weil sie davon ausgeht, dann einen neuen Anfang in den iranisch-deutschen Beziehungen machen zu können. Mein Eindruck war, daß in Teheran ein großes Interesse an Verbesserungen zu Deutschland und der EU insgesamt besteht und man die im Iran sogenannte Mykonos-Tragödie überwinden möchte. Ich habe allerdings unmißverständlich klargemacht, daß die Haltung der Bundesregierung zu dem Mykonos- Prozeß von der SPD uneingeschränkt unterstützt wurde und wir als Voraussetzung für verbesserte Beziehungen erwarten, daß Terrorakte gegen Dissidenten, zumal in Europa, auf jeden Fall unterbleiben. Schließlich waren die ermordeten kurdischen Politiker unsere Gäste bei einer Veranstaltung der Sozialistischen Internationale in Berlin. Ich habe auch ganz deutlich gemacht, daß Verhaftungen wie die des deutschen Geschäftsmannes Hofer, dem ein sexuelles Verhältnis zu einer Iranerin vorgeworfen wird, eine Normalisierung der Beziehungen unmöglich macht.

Außenminister Kinkel hat gerade gegenüber dem Iran immer auf stille Diplomatie gesetzt. Der jetzt freigelassene Schriftsteller Faradsch Sarkuhi dagegen ist davon überzeugt, daß ihn nur öffentlicher Protest gerettet hat. Wird eine SPD-Bundesregierung in Menschenrechtsfragen auch auf stille Post setzen oder öffentlich intervenieren?

Das kann man schlecht generell beantworten. Das hängt von dem Land und dem Einzelfall ab. Es ist tatsächlich oft erfolgversprechender, wenn man sein Anliegen so vorbringt, daß das entsprechende Regime nicht sein Gesicht verliert. Aber es kann auch mal sehr sinnvoll sein, deutlich öffentlich seine Meinung zu sagen.

Seit der Wahl des neuen Präsidenten Chatami wird im Westen diskutiert, ob es sinnvoll und möglich ist, diesen eher moderaten Teil des Regimes gegen den Hardliner- Flügel zu unterstützen. Sehen Sie da Ansatzpunkte?

Ich bin davon überzeugt, daß der Westen es versuchen muß. Dazu gehört unbedingt, daß die EU und die USA sich gegenüber dem Iran endlich auf ein gemeinsames, abgestimmtes Vorgehen verständigen und dann handeln statt reden. Das ist schon eine heikle Operation. Man muß immer berücksichtigen, daß eine zu offensichtliche westliche Parteinahme für Chatami diesem auch sehr schaden kann.

Hatten Sie den Eindruck, daß sich seit der Wahl Chatamis vor einem Jahr der Iran verändert hat?

Ich war zum Teil erstaunt, wie lebhaft die politische Debatte ist. Im Parlament finden offene, kontroverse Debatten statt, in den Zeitungen auch. Über dem Land liegt keineswegs eine Glocke des Schweigens, und auch die Menschen in Teheran machen keinen verängstigten und geduckten Eindruck. Ich war eher positiv überrascht. Natürlich ist die Menschenrechtssituation im Iran nicht befriedigend, aber wir sollten den Iran aus dem Reich des Bösen zurückholen. Wenn ich mir die Menschenrechtssituation in den arabischen Nachbarländern anschaue, gerade bei den westlichen Verbündeten Saudi-Arabien, Pakistan oder Indien, nimmt sich die Situation im Iran doch weit weniger schrecklich aus. Der Vorwurf, der Westen messe mit doppelten Standards, ist da einfach gerechtfertigt. Interview: Jürgen Gottschlich