: Antworten auf Letzte Fragen
Lohnt es, sich Illusionen zu machen? (18.4. 98)
Wohl dosiert unbedingt. Als sehr subjektiver Gegenentwurf oder Korrektiv zu einer z.B. medial vermittelten, fremderzeugten, objektiven gesellschaftlichen Wirklichkeit dient die Illusion der Lebensbewältigung. Das allein schon sollte sie lohnenswert erscheinen lassen. Darüber hinaus ist die Illusion eines der Gegengifte, zu denen man greifen kann, wenn die fortwährende Belästigung der eigenen Existenz unerträglich wird durch solche Menschen, die eine von ihnen erzeugte, objektive gesellschaftliche Wirklichkeit ungefragt, d.h. ohne echte Übereinkunft zu der unseren erklären. Entwurf und Gegenentwurf sind letztlich beide konstruiert, doch lediglich die Illusion macht daraus keinen Hehl, wenn sie es auch nicht immer zugibt. Macht sie das nicht irgendwie sympathisch?Ulrich Wirth, Trier
Durchaus, und zwar die, daß es eben nicht lohnenswert ist.Charalampos Lazos, Darmstadt
Die Zukunft ist ein schönes, nerviges Blatt, das die Farbstoffe aufnimmt und bemerkenswerte Mängel zeigt. Trotzdem liebe ich selbstverständlich nur das Unvollendete, und ich beabsichtige nichts so sehr, als zu viel zu beginnen. Allein die Vollendung und das Beherrschen sind Täuschungen. Und es soll vorerst genügen, daß ein so schöner Schatten am Fensterbrett tanzt, durch welches ich mich jeden Tag wieder hinausstürzen will. Sollte sich diese Frage jedoch unverhoffterweise als „freie Erörterung im Abi“ herausstellen, würde ich mehr schreiben (Einleitungssatz nicht vergessen!)P. Kühn, Göttingen
Selbstverständlich, denn wenn man sie sich nicht machen würde, gäbe es sie nicht, und die Gedankenwelt wäre um eine Variante ärmer. Wollen wir aber nicht alle etwas reicher sein?Matthias Brandt, Groß Weeden
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Was hat es mit dem sogenannten Vorführeffekt auf sich? Beispiel: Wasserhahn tropft – Klempner kommt, guckt – Wasserhahn tropft nicht mehr – Klempner fragt sich erstaunt, warum er gerufen wurde – Klempner geht – Wasserhahn tropft wieder. (18.4. 98)
Der Vorführeffekt ist – ähnlich wie Freudsche Fehlleistungen und scheinbare Ereignishäufungen (Gesetz der Serie) – Wahrnehmungssache: Die vielen Fälle, in denen alles wie erwartet verläuft, fallen uns nicht genug auf, um sie zu erinnern. Das „Normale“, z.B. auch Gesundheit oder der Umstand, daß es tags (mehr oder weniger) hell ist, bildet die nicht weiter erwähnenswerte Basis – erst die Abweichungen werden – zumal, wenn sie einem peinlich sind – registriert. Das schlägt sich auch in der Sprache nieder: Es gibt viel mehr Wörter für Nicht-Durchschnittliches als für das Übliche. Dahinter steckt ein effektives Sparprinzip, dessen Ur-Anfänge organischer Natur sind: Wahrnehmende Nervenzellen schalten auf Stand-by, wenn der Input eine Weile konstant bleibt, also keine „Abweichung“ zu registrieren ist. Beispiel 1: Wenn man ruhig lesend auf dem Bett liegt, kann plötzlich ein Bein „weg sein“ – man spürt es erst wieder, wenn man Muskeln anspannt. Beispiel 2: Viele Vögel bewegen dauernd den Kopf, weil sie sonst buchstäblich nichts mehr sehen, da ihre optischen Wahrnehmungsnerven sich bei konstantem Input abschalten. (Der menschliche Augapfel bewegt sich deshalb permanent mit hohem Tempo.)Arnd Kösling, Refrath
Warum versammeln sich Kugelschreiber und Scheren immer an einem Ort? (2.5. 98)
„Gleich und Gleich gesellt sich gern“ wäre eine erste Spur. Zwar tendiert unsere Welt immer zu einem Zustand größerer Unordnung, was ein gleichmäßiges Verteilen der Kugelschreiber erwarten ließe, aber unter Energieaufwendung wird vom Menschen (unbewußt) wieder eine größere Ordnung erzeugt, die sich in Kugelschreiber-Clustern manifestiert, ähnlich der Zusammenballung von Materie im Universum zu Nebelwolken und schließlich zu Sonnen und Planeten.A. Lienhard, Offenburg
Immerhin habe ich jetzt den Hinweis, daß meine nicht nur irgendwo, sondern sogar an einem bestimmten Ort sind. Immer wenn ich solche Geräte brauche, habe ich keine und muß sie mir an den Schreibtischen irgendwelcher KollegInnen holen, die gerade nicht da sind. Aber eine ganz andere Frage: Warum versammeln sich alle Kugelschreiber, die nicht mehr gehen, ausgerechnet bei mir?Jochen Neidhardt, Meißen
Eine beunruhigende Frage, wenn sie von einem Mediziner (Dr. med. Heinz de Moll) gestellt wird! Ich war aufgrund der mysteriösen roten Pünktchen neben meiner Blinddarmnarbe bisher im festen Glauben, sie würden zur Markierung mit kleinen, bunten Fähnchen operieren. Oder wurden damit bloß Notizzettel befestigt?Sandra Kramer, Oldenburg
Wie kam die Grotte zu ihrem grottenschlechten Ruf? (2.5. 98)
Ich kannte das Adjektiv grottenschlecht oder besser grottaschlecht nur als Mundartwort. Daneben gibt es noch grottawiascht. Der Wortteil grotta hat allerdings überhaupt nichts mit der Grotte zu tun. Grott (Plural Grotta) bedeutet vielmehr Kröte. Grottawiascht ist also mit krötenhäßlich, grottaschlecht mit krötenschlecht zu übersetzen. Letzteres wurde wohl unverstanden und unübersetzt als grottenschlecht in die Hochsprache übernommen. Eine Umfrage, die ich am Wochenende unter Bekannten durchgeführt habe, ergab, daß für die befragte Person Kröten häßliche Tiere sind. So ist das Zustandekommmen des Adjektivs grottawiascht zu erklären. Es bleibt jedoch die Frage, wie die Kröten zu ihrem krötenschlechten Ruf kommen.Walter Schmucker, Leitershofen
Früher gab es zur Umschreibung eines niedrigen Niveaus z.B. kultureller Vorkommnisse das Wörtchen unterirdisch. Eines Tages überlegte dann irgendein Gemeinplatzwart wild hin und her, wie man das noch ein wenig pointierter bringen könnte. „Was ist denn alles so unter der Erde, hm?“ Lava verbot sich wegen bestehender Assoziationen „eruptiv“ bzw. „glühend“ (meist positiv besetzt). Kohle haute aus ähnlichen Gründen auch nicht recht hin. Bis die Erleuchtung kam: „Mensch, Grotten, das isses!“ Denn die hält ja wohl niemand, der noch halbwegs bei sich ist, für angenehme Orte. Es ist feucht und finster, vorhandene Fauna meist unvorteilhaft glibberig – grottenschlecht eben.Michael Kischel, Essen
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Warum heißt derjenige immer „Teufel“, von dem man gerade spricht und der dann im selben Augenblick auftaucht? (2.5. 98)
Weiß der Teufel!Tina Busche, Saarbrücken
Wenn der Mensch, von dem ich gerade spreche, plötzlich unerwartet auf der Bildfläche erscheint, dann ist natürlich Magie im Spiel. Und Magie – haben wir ja von der Kirche gelernt – ist des Teufels. Die Frage, ob er kommt, weil er weiß, daß ich von ihm spreche, oder ob er, weil er kommen will, mich veranlaßt, von ihm zu sprechen, ist nur von Teufeln oder von Inquisitoren zu beantworten. Es gibt aber noch eine dritte Möglichkeit: Ich selber spreche den Menschen magisch herbei, bin also selbst des Teufels, lenke natürlich nach Teufelsart davon ab und zeige auf den, der kommt. Denn der Böse ist ja immer der andere. Das fanden auch die Inquisitoren.Barbara Gohlke-Paul, Hamburg
Stimmt nicht! Der- oder diejenige heißt nie „Teufel“, sondern Heinz, Albert, Uschi usw. Da man sich aber gerade über sie das Maul zerreißt bzw. sie solchermaßen vorführt, sind sie als ZuhörerInnen nicht willkommen (ebensowenig wie der Teufel). Warum sie aber gerade dann auftauchen, wenn man über sie spricht, hat wahrscheinlich mit dem „Vorführeffekt“ (s.o.) und mit der Antwort von M. Utz (s. 3.Mai) zu tun, denn: „Wer läßt sich schon gerne vorführen?“Gerd Neurath, Saarbrücken
Weil das „von dem man gerade spricht“ nicht gemeint ist. Gemeint ist „..., den man gerade gemeinsam niedermacht“. Im Klartext: „verteufelt“. Aus eigenen noch niederen Beweggründen, Neid usw. In Wahrheit Angst. Und wenn er dann an der Wand prangt, ist er nicht weit, der böse Angstmacher.Sibylle Gillabert, Hamburg
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Was ist der Trick 17? (4.4. 98)
Trick 17 ist so naheliegend für die Lösung eines Problems, daß es sechzehn Anläufe bedarf, um endlich auf die einfachste Lösung zu kommen. In der heutigen Zeit bringen die wenigsten Menschen noch die Geduld auf, siebzehn verschiedene Antworten auf eine Frage zu finden, so daß der Trick 17 schon legendär geworden ist, aber selten zur Anwendung kommt.Achim Blechschmidt
Der Trick 17 ist der Trick 16 plus 1 !Margot Brünner, Reichertshofen
Auf den Trick 17 stößt man in jedem Kauf- oder Warenhaus. Dann nämlich, wenn eine Verkäuferin der anderen meist laut und deutlich mitteilt, „sie gehe mal auf die 17“. Damit ist gemeint, daß sie mal ganz schnell aufs Personalklo geht. So hat sie ihrer Kollegin in Gegenwart von Kunden ihr Bedürfnis klargemacht, ohne ein Baba-Wort in den Mund genommen zu haben. Trickreich eben.Dagmar Weber, Essen
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Warum hat man nach abendlichem Biertrinken am nächsten Morgen geschwollene Augen? (28.3. 98)
Alkohol transportiert bekanntlich Gehirnmasse durch die Zeit (am Abend hat man keins mehr, kann sich nicht erinnern, was los war). Bei abendlichem Trinken materialisiert sich nämlich Gehirn zusätzlich zu dem, das vorher schon vorhanden ist, was zu Schädeldrücken und Schwindelgefühl führt (evtl. ist das Gleichgewichtszentrum zweimal vorhanden, kann aber nicht anständig arbeiten, da sich beide Teile blockieren). Im Verlauf des Tages schrumpft das Gehirn dann wieder (über einen längeren Zeitraum ist die Durchschnittsmenge an Gehirn konstant). Der Effekt der Materialisierung von Gehirnmasse führt unweigerlich zu oben erwähntem morgendlichem Schädeldrücken (das Gehirn hat jetzt ein viel größeres Volumen), und natürlich drückt es auch die Augen aus dem Kopf (das Gehirn braucht jetzt schließlich mehr Platz). Da die Augen aber Kugeln sind, von denen nur ein kleiner Teil sichtbar ist, wird nun ein größerer Anteil derselben aus dem Kopf gedrückt. Dies führt zu den geschwollen wirkenden Augen.Frank Röhr, Aachen
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