Lob der Fremdheit

Wer heute öffentlich von Grenzen spricht, fordert in aller Regel ihre Überwindung. Wer multikulturelle Vielfalt proklamiert, hat Gleichheit im Sinn und ebnet häufig der Einfalt den Weg. Eine Buchbesprechung  ■ Von Edith Kresta

Das neue Pharisäertum in Deutschland verwechselt Ortlosigkeit mit Weltoffenheit“, schreibt Frank Böckelmann in seinem Buch „Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen“. Böckelmann geht hart zu Gericht mit den Freunden alles Fremden, den selbsternannten Weltenbürgern, die ihren eigenen Provinzialismus als Provinzposse verdrängen. Fremdheit, so behauptet er, sei heute anstößiger als je zuvor, denn man strebe einen spannungslosen Zustand an. So läßt es sich besser konsumieren, vereinnahmen. Beim Reisen, der Eroberung neuer Märkte, der weltumspannenden Kommunikation sind Gegensätze und Fremdheiten unbequem. Aber für das Unvergleichliche ist Gleichbehandlung der Anfang vom Ende. Unter der Devise „gegen Ausgrenzung“ würden die Deutschen im öffentlichen Diskurs beständig ermahnt, sie sollen Fremdheit endlich ertragen, sie beseitigen und einsehen, „daß die Femden gar nicht fremd sind“. Denn „für das maßstabslos andere gibt es in einer Welt der guten Freunde keinen Platz“. Es beunruhigt. Mit der Forderung nach Verständigung als Allerweltsrezept könnten Probleme bestens zur Seite geschoben werden. Tugendterror nennt Böckelmann dieses Streben der Freunde alles Multikulturellen. Und er stimmt ein Lob der Fremdheit an. Denn mit netten Forderungen nach grenzenloser Verständigung werde der andere auf den Menschen an sich zurechtgestutzt, Unterschiede und Eigenwilligkeiten werden ihm genommen, Probleme bei der Begegnung werden beiseite geschoben, verdrängt. Man will Projektionen und Vorurteile einfach nicht wahrhaben. Sie würden ausgeblendet und so behandelt, als lösten sie sich allein schon bei gutem Zureden in Mißverständnisse und Lernprozesse auf. So verachtet würde der Feindlichkeit gegenüber dem Fremden nicht die Ehre einer genauen Betrachtung erwiesen. Für Böckelmann ist diese unbedingte Fremdenfreundlichkeit gleichgültige Toleranz.

Er will wissen, „wie Angehörige von Kulturen, die weitgehend unabhängig voneinander entstanden sind, auf den Anblick des jeweils anderen reagieren, wenn kein Zweifel besteht, wer die Einheimischen und wer die weither Gekommenen sind“. Sein Credo: „Aufschlußreicher als die Möglichkeit, daß Äußerlichkeiten wie Gesicht und Hautfarbe eines Tages zur Nebensache werden, ist die Beobachtung, daß sie Hauptsachen sind.“

Für die Untersuchung der Fremdheitsbilder, die man sich vom jeweils anderen macht, hat er aufwendig recherchiert. In Interviews mit Japanern, Chinesen und Schwarzen, die in Deutschland leben, nähert er sich deren Deutschen- bzw. Europäerbild. Oder er fahndet in alten Quellen, alter Literatur. Dabei hat er eine eindrucksvolle Liste interkultureller Dokumente zusammengetragen: historische, literarische, aktuelle. Eine Fundgrube, die ungewöhnliche Details und Einblicke liefert. Beispielsweise die Suche der Europäer im Orient und in Asien nach der fremden Frau und die Ambivalenz in deren Wahrnehmung: Sie schwankt zwischen lasziv und stumpf. Frappierend ist die Kontinuität der Europäerbenennung bei Chinesen vom 16. bis ins späte 20. Jahrhundert. Nichts hat sich so grundlegend verändert, daß sich die Chinesen dazu veranlaßt sähen, den Übersee-Ausländer aus der Kategorie des Rothaarigen Gespensts herauszunehmen. Doch er ist nicht nur häßlicher Teufel, sondern von jeher auch Schöne Große Nase. Oder man erfährt, daß manche Japanerin bei der Ausländerschau in Yokohama zur Jahrhundertwende ihre Neugier nicht länger zügeln konnte und einer weißen Frau die Röcke hob, um endlich Klarheit über die Extremitäten solcher Frauen zu gewinnen. Denn „obleich man die Abendländer als intelligente und höchst gefährliche Wesen ansah, galten sie doch nicht voll als Menschen.“

Das würde ein moderner Japaner heute nicht mehr behaupten, aber auch er findet aktuell viele Eigentümlichkeiten an Europäern: Sturheit, Hartnäckigkeit, Aufdringlichkeit, Eindringlichkeit, Penetranz. Auch die Bilder, die sich Schwarz von Weiß und umgekehrt machen, zeigen erstaunliche Kontinuität: das schöne, wilde, unwissende Naturkind und der reiche, seelenarme Vielwisser. Das rigoroseste Bekenntnis zu seinem Tolerierungsmaß gegenüber Schwarzen legte ein in Deutschland lebender japanischer Naturwissenschaftler ab: „Wenn meine Tochter mit einem Neger daherkäme, würde ich weinen bis zum Tod.“

Doch während dem Afrikaner bei Chinesen, Japanern oder Europäern stets die Niedrigkeit anhaftet, umgibt zumindest den weißen Eindringling in Afrika der Nimbus des Verheißungsvollen. Weiße werden auch in postkolonialer Zeit bewundert, respektiert. Die Magie der Weißen lebt, kraft ihrer ökonomischen Potenz, fort. Eine Sichtweise, die sich wunderbar mit dem westlichen Eigenbild ergänzt: „Wir wollen das Gehirn der Welt sein und würdigen daher die Schwarzen zu vernunftlosen Kraftpaketen herab.“

Ein chinesischer Interviewpartner zieht nach acht Jahren sozialwissenschaftlicher Tätigkeit in Deutschland Bilanz: „Die Deutschen sind weder kalt noch distanziert, noch isoliert. Sie haben einfach andere Werte. Ich als Asiate werde Europa niemals ganz begreifen. Und ebensowenig wird ein Europäer jemals China ganz begreifen. Es paßt nicht zusammen.“

Böckelmann ein Vertreter des Kulturrelativismus, der alles versteht und für sich stehen läßt? Mitnichten. „Wer das Eigene nicht gegen das andere setzt“, meint Böckelmann, „wird am Ende beides verachten.“ Oder: Wer sich seiner eigenen Kultur, seines eigenen Standpunkts nicht vergewissert, wird auch mit der anderen Kultur nichts anfangen können. Begegnung gibt es dennoch, zumindest im Verfehlen.

Alle Kulturen sind Mischkulturen. Die Binsenweisheit kennt auch Böckelmann. Doch zu einem bestimmten Zeitpunkt haben die Kulturen an einer Synthese festgehalten. Diese Synthese, in Jahrtausenden entstanden, nimmt physische Gestalt im Gesichtsschnitt der Europäer, der Han- Chinesen, der Indianer an. In einer sich vereinheitlichenden Welt, westlich dominiert und ökonomisch motiviert, sind kulturelle Konflikte immer politisch aufgeladen, meint der Autor. Wer hier für Vielfalt plädiert, muß auch Kulturkonflikte dulden. Sie sind so selbstverständlich wie der Ehekrieg: „Wie Mann und Frau sind die Kulturen einander unvergleichlich, und ob sie sich ergänzen, steht dahin. China und Europa, Japan und Nordamerika, Schwarze und Weiße haben miteinander Affären, die jeweils für eine Seite oder auch beide Seiten katastrophisch enden können“, schreibt Böckelmann.

Ein neues Buch zum drohenden Kampf der Kulturen à la Huntington? Böckelmann gibt sich diskreter. Er spricht von den uneingestandenen Rivalitäten der Kulturen und hat dabei die absorbierende Kraft westlicher Toleranz im Visier: „Anstatt durch begründete Intoleranz einen Beitrag zur Vielfalt zu leisten“, trocknet der Transkulturalismus letztlich im Zuge von Globalisierungs- und Vernetzungsstrategien die Vielfalt aus. Die Vernunft der Weißen dulde keine anderen Geister neben sich, sie vereinnahme sie allenfalls zur Belebung der eigenen Kultur.

Böckelmanns Buch ist keine Anleitung zum Verständnis des Fremden, geschweige denn eine Gebrauchsanweisung für die multikulturelle Gesellschaft. Auf die Niederungen des Zusammenlebens verschiedener Kulturen, auf Alltagskonflikte läßt er sich nicht ein. Er ortet kulturelle Unterschiede, Fremdheitsbilder vom jeweils anderen. Aus luftiger Höhe fordert er die Anerkennung des Fremdseins, des Nichtverstehens. Damit das Staunen, die Anziehungskraft in der Welt bleibt. Und damit der allgegenwärtige Rassismus unter Schwarzen, Weißen, Gelben nicht mit scheinheiligen Verständnisparolen verdeckt wird.

Frank Böckelmann: Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen;Frankfurt 1998, Eichborn Verlag, 455 Seiten, 49,50 Mark