Auch für Buchhalter: bei Anruf Job

Fünfhundert Bewerbungen auf eine Stelle – bei dem derzeitigen Überfluß an Arbeitskräften gerät die Wahl des richtigen Mitarbeiters zur Lotterie. Immer mehr Unternehmen lassen daher auch mittlere Positionen mit Hilfe von Headhuntern besetzen. Über den Wandel einer Branche  ■ Von Eva-Maria Lecker

Können Sie im Moment frei sprechen?“ Die Zeiten, als jene ominöse Begrüßung eines Headhunters bei der „executive search“, der Kandidatendirektansprache, nur Topmanagern mit Gehältern in Millionenhöhe vorbehalten war, gehören längst der Vergangenheit an. Einkäufer aus der Modebranche, Kontakter aus der Werbung, Produktmanager aus dem Kommunikationssektor, Ingenieure einer Entsorgungsfirma oder angehende Bilanzbuchhalter mit SAP-Kenntnissen, sie alle werden inzwischen von Kopfjägern abgeworben. Mehr als ein Drittel der „Assignments“, wie Suchaufträge im Headhunter-Jargon heißen, gelten Mitarbeitern in mittleren Positionen.

Was zu diesem neuen Trend geführt hat, erklärt Christoph Weyrather, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater (BDU) in Bonn: „Zum einen liegt es an der verschärften Wettbewerbssituation. Unternehmen wollen es heute nicht mehr riskieren, durch eine konkrete Stellenanzeige der Konkurrenz beispielsweise ihren technologischen Vorsprung, die Einführung einer Young-Collection oder auch bloß den Personalzuwachs zu signalisieren. Zum anderen wurden durch das sogenannte Lean Management viele Hierarchiestufen abgebaut, und die angespannte Wirtschaftslage fordert jetzt, auf allen Ebenen die idealen Mitarbeiter zu finden.“ Und: Auch in Personalabteilungen werden Stellen eingespart. Wenn immer weniger Mitarbeiter eine Flut von bis zu 500 Bewerbungen pro ausgeschriebene Stelle zu bewältigen haben, gerät die stressige Prozedur zum Glücksspiel.

Neue Zielgruppen, neue Suchaufträge – Gesprächsstil und Umgangsformen der Branche aber haben sich kaum verändert. Wer nach der klassischen Frage „Sind Sie an einer beruflichen Veränderung interessiert“ die ersten zehn Sekunden vergrübelt, wieso eigentlich die Sekretärin wen ganz anderen angekündigt hat, die zweiten zehn Sekunden stumm und verzweifelt nach irgendeiner Antwort sucht und die dritten zehn Sekunden fürchtet, daß die Kollegen jeden Moment feixend und schenkelklatschend aus dem Nebenzimmer stürmen, kann gleich wieder auflegen.

Souveränität und Professionalität sind jetzt angesagt. Ein authentisches „Jetzt bin ich aber platt“ ist genauso chancenkillend wie ein freches „Welcher Job, welche Firma, welches Gehalt“. Besser ist, Sie entscheiden sich zwischen a) „Ich bin gerade auf dem Weg zu einem Termin, kann ich Sie zurückrufen?“ oder b) „Im Moment fühle ich mich hier sehr wohl, vielleicht kommen wir aber in Zukunft miteinander ins Geschäft“ oder c) „Prinzipiell ja, erzählen Sie mir bitte etwas mehr“. Für die sichere Variante a) sollten sich all die entscheiden, die an ihre bisherigen Jobs ganz schlicht über Stellenanzeigen rankamen.

„Ein zeitlicher Aufschub von maximal ein oder zwei Tagen hilft, sich wieder zu sammeln und konkrete Fragen vorzuformulieren“, rät die Hamburger Berufs- und Existenzplanerin Ilonka Winkler. Zum Beispiel in welcher Stadt oder Region das neue Unternehmen liegt, wie die Aufstiegschancen aussehen oder ob ein betriebseigener Kindergarten vorhanden ist.

Aus Sicht der Jäger gilt es schließlich, dem Auftraggeber zwei oder drei optimale Köpfe zur Auswahl zu präsentieren. Daß diese bis zum Moment des Vorstellungsgesprächs von ihrem neuen potentiellen Arbeitgeber nicht viel mehr wissen, als daß es sich um einen „Verlag im norddeutschen Raum“ oder um ein „mittelständisches, aufstrebendes Unternehmen in einer süddeutschen Stadt“ handelt, ist üblich.

„Details würden schließlich Branchenkennern signalisieren, um welchen Betrieb es sich handelt und welcher Mitarbeiter dort wohl demnächst mit einer Abfindung rechnen darf“, erklärt Gisela Seggebruch, seit elf Jahren Headhunterin bei der Kienbaum Personalberatung in Gummersbach. Umgekehrt könne aber auch der angeworbene Kandidat mit absoluter Diskretion rechnen. „Seine aktuelle Position schließlich wäre enorm gefährdet, würde sein Arbeitgeber über die Gerüchteküche von Kontakten mit einem Headhunter erfahren“, sagt Gisela Seggebruch. Geheimniskrämerei gehört zum Geschäft.

Dazu gehört außerdem wenig Freizeit. Die wenigsten telefonischen Gespräche oder persönlichen Kontakte finden zwischen 9 und 18 Uhr statt. Also trifft man sich am Wochenende zu einem Vorstellungsgespräch oder wird erst nach Feierabend von potentiellen Kandidaten zurückgerufen. Und: Um neue Kontakte zu knüpfen, alte Beziehungen aufzufrischen oder die letzten Neuigkeiten zu erfahren, tummeln sich Headhunter möglichst viel an den Orten der Einflußreichen der Wirtschaft. Sie dinieren also in edlen Restaurants, verkehren in teuren Sportklubs und besuchen gesellschaftliche Events. Außerdem im Terminkalender: Wirtschaftstagungen, Firmenveranstaltungen, Hochschulfeste und Fachmessen.

Da schmeichelt der Anruf eines Headhunters und treibt schon aus purer Neugier zum geheimnisumwitterten Treffen in Flughafen- oder Hotellobbys. Wer aber an einer beruflichen Veränderung eh nicht interessiert ist und auch ganz bestimmt die Stadt nicht wechseln will, sollte das auch schnell klarstellen. Die Chancen, in die begehrte Computer-Kartei eines Personalbetreuungsunternehmens aufgenommen zu werden, schwinden sonst rapide.

Überhaupt sind persönliches Auftreten und Kommunikationsformen sehr wichtig. Bei einem 150.000-Mark-Job zählt eben mehr als berufliche Kompetenz und Leistung. „Höfliche Umgangsformen werden als Fähigkeit gedeutet, Mitarbeiter zu respektieren und somit später optimal zu motivieren“, sagt Headhunterin Seggebruch. „Ein respektvoller, freundlicher Ton kann Reibungsverluste bei Konflikten minimieren, und ein höflicher Kommunikationsstil erleichtert die Konsensfindung bei Verhandlungen.“

Auch für die Kleidung gilt: konservativ. Wer sich deshalb extra zu Styling- und Benimm-Kursen anmelden muß, kann sich immerhin damit trösten, daß es bei einer erfolgreichen Vermittlung eine durchschnittliche Gehaltserhöhung von 30 bis 40 Prozent plus Extraleistungen gibt.

Das gilt auch für den Non-profit-Bereich. Der war lange Zeit als Jagdrevier indiskutabel. „Aber mittlerweile kommen gut zehn Prozent unserer Aufträge aus diesem Bereich“, sagt Hinrich Bents, Headhunter bei der Kienbaum Personalberatung in Hamburg, „durch die Sparzwänge der öffentlichen Hand und der privaten Organisationen wird auch hier professionelles Management nötiger werden denn je.“ Zu besetzen sind Chefarztposten in öffentlichen Krankenhäusern, die Presseabteilung von Umweltschutzorganisationen oder Kinderhilfswerken oder die Pflegeleitung von privaten Diensten.

Und auch hier werden immer mehr mittlere Positionen, die betriebswirtschaftliches Know-how erfordern, solide Marketing- oder Controlling- Kenntnisse, mit Hilfe von Headhuntern besetzt. „Die klassische Headhunting- Aufgabe besteht darin, Mitarbeiter aufzuspüren, die über herkömmliche Stellenanzeigen nicht erreichbar sind“, erläutert Thomas Hölzchen von der Personalberatung Baumgartner und Partner. Wie die Designerin aus dem Modesegment, die meist auf Messen und internationalen Präsentationen unterwegs ist und deshalb den Anzeigenteil der Tageszeitungen erst gar nicht liest. Oder der Diplom-Ingenieur, derzeit bei einer Entsorgungsfirma, dem erst noch klargemacht werden muß, daß er als Spezialist in der Umwelttechnik einen attraktiveren Job bekommen könnte.

Für welche Stelle, Branche oder Position Headhunter auch immer potentielle Kandidaten jagen, die Recherchearbeit bleibt ähnlich. Sie sammeln Firmenbroschüren und Geschäftsberichte, analysieren die Wirtschafts- und Fachpresse, recherchieren in den Datenbanken des Internet und werten Directories und Verbandsmitgliederverzeichnisse aus. Detaillierte Kenntnisse der jeweiligen Marktsituation und der Gepflogenheiten und Bedürfnisse der Auftraggeber sind genauso wichtig wie die Analyse des Personal- und Stellenmarktes. Also besuchen sie Vortragsreihen der Handelskammern und Messestände von Verbänden und pflegen Kontakte in Hochschulen, Unternehmen und Organisationen, um die eigene Klientenkartei immer wieder zu aktualisieren. Eine Arbeit, die nicht schlecht belohnt wird: Zwischen fünfzehn und zwanzig Aufträge wickelt ein guter Headhunter pro Jahr ab und kann pro Auftrag ein Durchschnittshonorar von 80.000 Mark erzielen, schreiben Rolf Dahlems und Klaus Leciejewski in ihrem Buch „Mit Headhuntern Karriere machen“. Auch wenn davon 500.000 Mark für eigene Aufwendungen abgezogen werden müssen, verdienen Headhunter mindestens soviel wie die Manager, die sie vermitteln.

Die Branche der Search-Firmen ist unübersichtlich. Manche Agenturen verfügen über hundert Mitarbeiter in zahlreichen Niederlassungen, andere arbeiten als Ein-Mann-Betrieb. Einige bieten ihre Dienstleistungen ausschließlich auf dem heimischen Markt an, während andere Kapazitäten auf internationaler Ebene haben. Die einen zählen zu den Generalisten, die viele Branchen und Positionen abdecken, andere sind auf bestimmte Suchprojekte spezialisiert. Etwa auf die Gruppe der besten Hochschulabsolventen.

Die Berufsbezeichnung Personalberater ist nicht geschützt, und so stammen Headhunter aus unterschiedlichsten Berufen. „Und nicht wenige Headhunter waren ehemalige Kandidaten, die dann von dem Headhunter-Unternehmen selbst abgejagt wurden“, sagt Christoph Weyrather vom BDU. Manchmal rekrutiert die Branche eben auch für sich selbst.