Wird es mal wieder ein guter Jahrgang?

■ Alle 25 Grand-Prix- Länder im Überblick. Prognosen, (Vor-)Urteile, Servicehinweise. Grand-Prix- Fans interessieren sich eh nicht in erster Linie dafür, wer am Ende siegt. Ihr Interesse gilt nur der Frage: Wird sich das Warten insgesamt gelohnt haben?

1. Kroatien: Danijela mit „Neka mi ne svane“ – Möge die Sonne niemals aufgehen. Sehr elegische Ballade einer Sängerin, die 1995 mit der Gruppe „Magazin“ schon mal beim Grand Prix mitmachte und mit einer ausgesprochen heiser- charmanten Stimme überraschte. Guter Mittelplatz.

2. Griechenland: Thalassa mit „Mia krifi evesthisia“ – Geheime Illusionen. Ihr Sieg? Ausgeschlossen. Einst unterband Kulturministerin Melina Mercouri (“Ein Schiff wird kommen“) die Teilnahme ihres Landes wegen des schlechten Angebots. Nun greift niemand mehr ein. Zwölf Punkte von Zypern sind wie immer sicher.

3. Frankreich: Marie-Line mit „Où aller“ – Wohin soll ich gehen? Flottes Stück, gesungen von einer gitarrespielenden Sängerin mit dunkler Hautfarbe, die über Stimme und Appeal verfügt. Wird vorne landen, TED sei Dank.

4. Spanien: Mikel Herzog mit „Que voy a hacer sin ti?“ – Was werde ich ohne Dich tun? Der spanische Newcomer-Teeniestar bleibt seiner Landeskultur treu: Viel Schmacht und Schmus, Herz und Hormone. Nickelbrillenträger, Teddyaugen. Gut für einige Punkte aus den Anrainerstaaten.

5. Schweiz: Gunvor mit „Laß ihn“. Das Nachwuchsstarlet weint einem Kerl hinterher, der sich nur um Job und Geliebte kümmert. Dazu macht sie Bewegungen, die sie für lasziv hält und doch nur in einer altfränkischen Stripteaseschule erlernt worden sein können. Qualvoll. Hilft Malta diesmal der Schweiz?

6. Slowakei: Katerina Hasprova mit „Modlitba“ – Ein Gebet. Unter strenger Frisur scheint sie nie zu lächeln. Weil sie für den Frieden, typisches Grand-Prix-Thema, singt? Oder weil ihr Lied selbst beim Refrain nur plätschert? Oder weil sie sich – der TED droht – punktemäßig schon aufgegeben hat?

7. Polen: Die Gruppe Sixteen mit „Ta takie proste“ – Es ist so leicht. Frischer Pop über die Liebe, die in Haß umschlagen kann und es nicht sollte. Kein Drama in drei Minuten wie noch von ihren polnischen Kolleginnen dargeboten während der letzten Jahre. Nett. Platz 10?

8. Israel: Dana International mit „Diva“. Die Favoritin schlechthin, transsexuelle Discokönigin mit Vampqualitäten und einem Lied, das selbst New-Jazz-FreundInnen spontan mitgrooven läßt. Nächstes Jahr in Jerusalem?

9. Deutschland: Guildo Horn mit „Guildo hat euch lieb“. Alles ist gesagt. Einen Abend singt er noch, dann hat die Hysterie ein Ende. Platz 6 tippen die Grand-Prix-Fans Schwedens und Norwegens. Keine Tragödie, gewiß, aber wird der Meister mit Tränen beglücken?

10. Malta: Chiara mit „The One That I Love“ – Der Einzige, den ich liebe. Ein langsames, ja schleppendes Lied aus einem Land, dessen TV-Chefs schon versucht haben sollen, Juries anderer Länder zu kaufen. Die Sängerin wird sich aus Gründen ihrer Leibesfülle in Fallschirmseide hüllen. Apart und lieb. Mittelfeld.

11. Ungarn: Charlie mit „A holnap mar nem lesz szomoru“ – Morgen wird mir nicht mehr traurig sein. Ein hohles Versprechen. Dieser gelangweilte Bluesverschnitt soll das beste aus dem Land sein, das uns Marika Rökk und Edina Pop geschenkt hat? Man bleibt ratlos. Zu Recht abstiegsverdächtig.

12. Slowenien: Vili Resnik mit „Naj Bogovi Slisijo“ – Mögen die Götter mich befreien. Große Gefühle in einem pompösen Beitrag eines Mannes mit Zopf und stieren Augen. Old-fashioned und charmant. Hinteres Mittelfeld.

13. Irland: Dawn Martin mit „Is Always Over Now“ – Ist das Immer jetzt vorbei. Eine Teilnehmerin, die offenbar deshalb ausgewählt wurde, um ja nicht wieder zu gewinnen. Trotz souliger Attitüde und giftiger Blicke gegen den Liebeskummer macht die gelernte Frisöse nicht deutlich, was sie wirklich bewegt. 12. Platz.

14. Portugal: Alma Lusa mit „Se eu te pudesse abracar“ – Wenn ich dich halten könnte. Natürlich wird Portugal nicht gewinnen. Die Lieder wurden noch nie sehr gemocht vom restlichen Europa. Dabei ist das Lied ein Gute-Laune-Bringer – frühlingshaft mit leichten Fado- Anklängen, untermalt von zwei Ukulelen. Geheimtip. Platz 5?

15. Rumänien: Malina Olinescu mit „Eu cred“ – Ich glaube. Das Lied will nichts falsch machen. Musikalisch antiexperimentell, textlich strikt auf das Thema Liebe beschränkt. Das kann nicht gutgehen. Sie singt schon die x-te Ballade des Abends – und ihr wird man das nicht verzeihen. Platz 19 – was bedeutet, nächstes Jahr wieder nur zuschauen zu dürfen?

16. United Kingdom: Imaani mit „Where Are You?“ – Wo bist du? Die Interpretin – einst Mitglied der Entourage von David Bowie – singt glatt, schön, routiniert und bar aller Nervosität. Doch sie glüht nicht, sie scheint nicht gewinnen zu wollen. Das Lied – rhythmisch, aber allzu gefällig – wurde von den britischen Fernsehzuschauern mit überwältigender Mehrheit dazu bestimmt, in Birmingham vorgetragen zu werden. Um die Gastgebern der BBC nicht zu beleidigen, wird die Sängerin vermutlich mit vielen Punkten bedacht werden.

17. Zypern: Michalis Hadjiyannis mit „Yenesis“ – Genesis. Das geteilte Land weiß, was der Rest des Grand-Prix-Europas füglich erwarten darf – gewaltige Melodienbögen mit viel Percussion-Wirbel im Hintergrund. Der Sänger wird allen Menschen gefallen, die eine gewisse Jungenhaftigkeit beim Manne zu schätzen wissen.

18. Niederlande: Edsilia Rombley mit „Hemel en Aarde“ – Himmel und Erde. Ruth Jacott soulte vor fünf Jahren „Vrede“ auf einen beachtlichen fünften Platz. Ähnlich kommt die diesjährige Botschafterin ihres Landes daher – mit einem tanzbaren Lied über die vielen Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir nicht verstehen. Wird ganz vorne landen.

19. Schweden: Jill Johnson mit „Kärleken är“ – Liebe ist... Der Song wirkt ohne den Gesang der 22jährigen wie ein Stück aus dem Klavier Richard Claydermans. Mit ihr und ihrer klaren Stimme hört es sich an wie eine Ballade, die so schlicht wie ergreifend ist. Gewidmet übrigens Lady Di – was durch weiße Pumps und ein weißes Auftrittskostüm unterstrichen werden soll. Hat sie das nötig? Wird ansonsten für die Top 10 gehandelt.

20. Belgien: Mélanie Cohl mit „Dis oui“ – Sag ja. Der Ohrwurm des Abends. Die 16jährige weiß in die Kamera zu flirten, ihre Stimme preßt sie charmant mit Zittervibrato ins Mikro. Nicht übel, das. Belgien erhofft sich den zweiten Sieg nach Sandra Kim 1986.

21. Finnland: Die Gruppe Edea mit „Aava“ – Weite. Der sphärische Song mit der hellen Stimme Marike Krooks verzichtet weitgehend auf finnische Krächzlaute, um die Juries nicht zu irritieren. Sehr modern, sehr worldmusicmäßig. Die Mühe sollte mit einem vorderen Rang bedankt werden.

22. Norwegen: Lars Fredriksen mit „Alltid sommer“ – Ewiger Sommer. Ja, so sind die Norweger – deren blonde mittelgescheitelte Jungs vor allem. Fröhlich, sehr hip, munter und drahtig im Sound. Der Song ist niedlich. Platz 14?

23. Estland: Koit Toome mit „Mere lapsed“ – Kinder des Meeres. Ein Konfirmand mit Ponyfrisur am Klavier, schüchtern im hellgrauen Anzug, eine Weise schluchzend. Erinnert an Johnny Logan (“What's Another Year“). Hörbar um Sympathiepunkte buhlend.

24. Türkei: Tüzmen mit „Unutamazsin“ – Du kannst nicht vergessen. Letztes Jahr bekam das Land zwölf Punkte aus Deutschland. Man muß eine Verschlechterung fürchten: Der Mann kann einfach keine großen Gefühle besingen. Dazu der Haarschnitt – hinten lang, vorne hochgefönter Mittelscheitel... unprophezeibar.

25. Mazedonien: Vlado Janevski mit „Ne zori zoro“ – Möge die Dämmerung niemals anbrechen. Der Abend fing mit der Hoffnung auf eine niemals aufgehende Sonne an und endet mit dem gegenteiligen Wunsch. Der Mann nahm für Jugoslawien 1984 am Grand Prix teil und landete irgendwo im Vergessen. Wird diesmal mit seiner – na, was? richtig: – Ballade wohl auch nicht besser abschneiden.

Regularien: Bereits um 20.15 Uhr sendet die ARD eine Reportage über Guildo Horn und die Probentage in Birmingham. Die TED- Nummern werden erst während der Sendung ab 21 Uhr veröffentlicht. ARD-Kommentator wird Peter Urban vom NDR sein. Um 24 Uhr ist Schluß. Nächstes Jahr geht es weiter. Veranstalter ist dann das Siegerland. Alles spricht für Israel.