„Nur Pipi stipsen“, das ist werdenden Müttern zu wenig

■ Gesundheitsminister Horst Seehofer pusht die Hebammenarbeit /Bundesweiter Hebammenkongreß in Bremen / Ganzheitliche Ansätze sind mehr denn je gefragt

Als alles überstanden war, hat Elke R. mit „ihrer Hebamme“ erstmal mit einem Schlückchen Sekt angestoßen. Ein paar Tage war es her, seit sie mit der Hebamme ganze 30 Stunden lang ihre Tochter Rebecca per Hausgeburt zur Welt brachte. „Diese ganze Apparatemedizin in der Klinik wollte ich nicht und auch nicht, daß die Hebammen in jeder Schicht im Krankenhaus wechseln“, sagt die Mutter. Sie entschied sich deshalb für eine Hebammenbetreuung.

Elke R. ging damit einen Weg, den in Bremen immer mehr Frauen wählen. Das jedenfalls haben Bremens Hebammen festgestellt, die wegen steigender Nachfrage in der Hansestadt immer mehr freie Hebammenpraxen gegründet haben. So ist die Anzahl der freiberuflich und angestellt tätigen Hebammen in den letzten drei Jahren von 140 auf über 200 angestiegen. Langsam, aber sicher erobern sich die Hebammen somit ein Terrain zurück, das lange Zeit von Frauenärzten und Kliniken besetzt war: Die Aufgabe, werdende Mütter von der Schwangerschaft über die Geburt bis zu den ersten Lebenswochen des Kindes fachlich zu begleiten. Und das per Hausgeburt aber auch mit einer hebammenbetreuten Geburt in der Klinik.

Diese offene Konkurrenz zu Frauenärzten und Kliniken ist gesundheitspolitisch erwünscht, weiß Antje Kehrbach vom Landesverband Bremer Hebammen. So wurden die Hebammengebühren auf Engagement von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) umfassend reformiert: Hebammen erhalten jetzt zum Beispiel bei Hausgeburten bis zu 100 Prozent mehr Geld. Diese „deutliche Aufwertung“ der Hebammenarbeit sei eine „gute Investition für die Zukunft“, schreibt deshalb Schirmherr Horst Seehofer in seinem Grußwort zum Hebammenkongreß vom „Bund deutscher Hebammen“, der von kommenden Montag bis Mittwoch 1.800 Hebammen aus ganz Deutschland zu einer fachlichen Tagung erwartet. Das Kongreßziel in diesem Jahr neben fachlichem Austausch über neue Forschungsergebnisse, aktuelle Fortbildungsmöglichkeiten und innovative Berufsentwicklungen: Die Berufsgruppe Hebammen mit ihren Kompetenzen bekannter zu machen.

„Die Frauen haben heute ein größeres Selbstvertrauen und sind nicht mehr so risikoorientiert“, weiß die Bremer Hebamme Antje Kehrbach. „Einfach mal eben beim Frauenarzt Pipi stipsen, dann noch Blut abnehmen – und nicht mal gefragt werden, wie es geht: Das reicht nicht mehr“, erzählt sie. Die Hebammen von heute bieten ein umfangreiches Vor- und Nachsorgepaket an, das von den Kassen auch so abgerechnet wird: So fing die Zusammenarbeit mit der Hebamme bei der Mutter Elke R. mit einem ersten Kennenlernen an. Kurz vor der Geburt war die Hebamme dann per Rufbereitschaft Tag und Nacht kontaktbereit – und stand dann bei der Geburt 30 Stunden lang „ganz ruhig und vertrauensvoll mit Rat und Tat zur Seite“, erinnert sich die Mutter.

Nach der Geburt kam die Hebamme dann zehn Tage lang täglich vorbei, tröstete über die Wochenbettdepression hinweg, gab Tips zum Stillen und „hat einfach nur zugehört.“ „Wichtig ist, daß wir ganzheitlich betreuen und so Komplikationen wie zum Beispiel Brustentzündungen durch Streß einfach eindämmen können“, erklärt die Hebamme. Wer sich von einem Gynäkologen betreuen läßt und dann die Klinik nach ein paar Tagen verläßt, fühle sich dagegen oft alleingelassen.

„Mündig“ lassen wollen die Bremer Hebammen aber die werdenden Mütter: „Wir wollen nicht einseitig für Hausgeburten sprechen. Jede Frau muß selbst entscheiden können, wie sie ihr Kind bekommen will“, macht Antje Kehrbach klar. So sei es keine Frage, daß ängstliche Frauen auf jeden Fall lieber in der Klinik entbinden sollten – wenn sie sich dabei besser fühlen. Schließlich hätten sich die fünf Bremer Kliniken im Bereich der Geburtshilfe auch mehr einem „frauen- und familienorientierteren Konzept angepaßt. Da herrscht im Vergleich zu früher eine viel intimere Atmosphäre“.

Auch der Kontakt zum Gynäkologen bei Komplikationen sei natürlich nach wie vor wichtig. Doch generell seien eben immer noch viele Frauen nicht über das genaue Aufgabenfeld der Hebammen informiert, kritisiert Antje Kehrbach. So wüßten sie nicht, daß sie auch bei Klinikgeburten vor, während und nach der Geburt eine Hebamme zur Betreuung wählen können.

Mutter Elke R. wußte durch eigene Erfahrungen im Krankenhaus, daß sie als werdende Mutter nicht automatisch zum Gynäkologen gehen und dann „das ganze medizinische System durchlaufen muß“. Nur, weil sie keine „Angst hatte“, habe sie sich für eine hebammenbetreute Hausgeburt entschieden. „Wer ängstlich ist, sollte sich das aber genau überlegen“, sagt sie. Doch ihr hätte es nichts ausgemacht, daß sie nicht an einen Wehenschreiber angeschlossen war, sondern die Hebamme mit einem Hörrohr die Herztöne des Babys während der Geburt kontrollierte. „Ich wußte, wenn Komplikationen auftauchen, würde die Hebamme selbstverständlich mit mir in die Klinik fahren. Für mich war es am wichtigsten, daß die Hebamme so ruhig und liebevoll war und daß sie mich so toll unterstützt hat“, bilanziert die Mutter. Katja Ubben

Die AOK hat eine Broschüre über Hebammenpraxen herausgegeben. Außerdem informiert der Zentrale Hebammen-Ruf täglich von 8 bis 20 Uhr über Hebammenangebote unter Tel.: 0421/70 70 30.