Kohl feiert Häuslebauer mit uralten Platitüden

■ Haus & Grund wird 100 Jahre alt / Festredner Scherf und Kohl verlieren kein Wort über Enteignung jüdischen Eigentums

„100 Jahre Haus und Grund Bremen e.V.“ steht in blauen Leuchtbuchstaben auf der Leinwand. Davor sitzen die Musiker der „Egerländer Blasmusik“ auf der Bühne des Congress-Centrums und warten auf ihren Einsatz. 800.000 Mitglieder hat die Interessengemeinschaft der Haus- und Grundeigentümer bundesweit. In Bremen, wo Haus und Grund mit seinem Zentralverbandstag gestern seinen 100sten Geburtstag gefeiert hat, sind es rund 9.000.

„100 Jahre – das ist eine grausame Zeit gewesen“, weiß Festredner Bürgermeister Henning Scherf (SPD). „Das war ja keine Schokoladenzeit, wo alle so gestrahlt haben, wie wir heute“, kommt Scherf kurz auf das „Unrechts- und Terrorregime“ der Nazi-Zeit zu sprechen. Über die Enteignung des jüdischen Haus- und Grundbesitzes verliert er kein Wort. Stattdessen lobt Scherf Bürgermeister Kaisen, der sich in die Trümmer gesetzt habe, um Bremen wieder aufzubauen. Die rund 1.000 Gäste, darunter auffallend viele lichte Häupter, klatschen in die Hände. Der artige Applaus verrät, daß Scherf heute nicht die Hauptrolle spielt. Alles wartet auf Bundeskanzler Helmut Kohl.

Was hat Haus & Grund eigentlich gemacht, als die Juden enteignet wurden? Ludger Baumeister, Pressesprecher von Haus & Grund, saugt die Luft scharf ein. „Das weiß ich nicht“, sagt er auf die unerwartete Frage der taz. Jüdische Privatbürger wären von der Enteignung ohnehin nicht so stark betroffen gewesen, glaubt er. „Das waren mehr so Kaufhäuser und Industriebetriebe.“

Kurz darauf bahnt sich Bundeskanzler Kohl den Weg durch die Journalisten im Foyer. Buten und binnen hat Star-Moderator Andreas Hoetzel geschickt. „Herr Kohl“, spricht Hoetzel den Kanzler an und hält ihm das Mikrophon vor die Nase. „Kommen Sie von einem Bremer Sender“, will Kohl wissen. Hoetzel nickt. „Vielleicht sollten Sie mal Umgangsformen lernen“, herrscht Kohl, der gewohnt ist, mit „Herr Bundeskanzler“ angesprochen zu werden, den Journalisten an. Ob er auch Häuslebauer sei, will Hoetzel wissen. Er habe „unter großer Sparsamkeit“ gebaut, bejaht Kohl. Zwei Prozent Zinsen habe er gezahlt, weil seine Frau „Flüchtling“ gewesen sei. Der Kanzler setzt sich wieder in Bewegung. CDU-Landeschef Bernd Neumann dreht sich zu Hoetzel um. Sein Gesicht ist wutverzerrt. „Sie müssen sich mal angewöhnen ...“ Der Rest des Satzes geht unter. Der Kanzler ruft. „Wo ist denn der Neumann?“

Im Foyer liegt die Chronik von „Haus & Grund Bremen“ aus. „Schwere und düstere Zeiten“ steht über dem Kapitel drei. „Zwar unterstützten die Abgeordneten des Haus- und Grundbesitzervereins seit 1930 die NSDAP teilweise durch ihr Abstimmungsverhalten in der Bürgerschaft. Aber eine Einflußnahme der NSDAP auf den bremischen Verein wurde erst 1933 sichtbar“, heißt es dort. Ab 1933 saßen nur noch NSDAP-Mitglieder im Vorstand. Das Grußwort stammt von Scherf: „Haus & Grund hat in den vergangenen 100 Jahren ein Stück bremische Geschichte mitgeschrieben. Wer weiß denn heute noch, daß dieser Verein von 1923 bis 1933 auch Hausbesitzer Partei war und Abgeordnete in die Bremische Bürgerschaft entsandte?“ Kein Wort über die Enteignung jüdischen Hausbesitzes.

Ab Dezember 1938 verstärkte das Nazi-Regime den Zugriff auf den Grundbesitz jüdischer Bürger. In Bremen waren die Behörden besonders eifrig. Als im Februar 1939 die Reichsverordnung erging, waren in der Hansestadt bereits 65 von insgesamt 155 Grundstücksübertragungen genehmigt worden. Die enteigneten Juden zogen in sogenannte „Judenhäuser“ oder lebten bis zur Auswanderung zur Miete in ihren alten Häusern. Im April 1939 trat das „Gesetz über die Mietverhältnisse mit Juden“ in Kraft. Es erlaubte die „Abschiebung“ von Juden aus bisherigen Mietverhältnissen ohne Kündigungsschutz und die „anderweitige Unterbringung“ in sogenannten „Judenhäusern“. Bis 1942 gab es mindestens 20 „Judenhäuser“ in Bremen.

Ein Jäger aus Kurpfalz wummern die Egerländer als Kohl unter Beifall den Saal betritt. „Wenn einer ein Haus baut und glaubt nicht an die Zukunft, braucht er gar nicht erst anzufangen“, ruft Kohl und beschwört unter dem beifälligen Nicken der Versammlung die höchsten moralischen Werte: „Ohne Tugenden gibt's weder privat noch für ein Volk eine Chance.“ Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Wagemut und Toleranz, zählt Kohl auf und mahnt: „Eigentum und Freiheit, das gehört zusammen.“ kes