Zahntourismus "all inclusive"

■ Ein deutscher Dentist lockt Zahnpatienten aus Deutschland mit Superbilligangeboten zur Behandlung in den polnischen Grenzort Slubice. Er verspricht Topqualität zum Niedrigpreis

„Der Begriff vom Tor zum Osten müßte eigentlich von mir stammen“, sagt Jochen Frank mit Blick auf sein Unternehmertum in Polen. Seit vier Jahren betreibt er eine „Dental Clinica“ in Slubice, der polnischen Nachbarstadt von Frankfurt (Oder). Die geriet inzwischen zu einem Anlaufpunkt auch für viele deutsche Patienten. Und die wird es voraussichtlich mehr und mehr ins Ausland ziehen: Denn der Europäische Gerichtshof urteilte Ende April, daß die Krankenkassen zahlen müssen, wenn man sich im EU-Ausland ambulant behandeln läßt.

Jochen Frank, vor 68 Jahren in Berlin geboren und heute in Frankfurt (Oder) lebend, hatte seine Zahnklinik in Slubice nach rund zweijährigem Genehmigungsmarathon 1994 eröffnet. Für ihn arbeiten polnische Zahnärzte, Helferinnen sowie Labortechniker im direkt angeschlossenen Labor. Frank selbst ist eigentlich gelernter Zahntechniker, hat aber in den 50er Jahren die Laufbahn eines „Dentisten“ eingeschlagen. So etwas sei damals noch möglich gewesen dank eines Fachschulstudiums.

In Deutschland hat der Dentist freilich nie praktiziert. Aus „Unzufriedenheit über die politische Lage hier“ war er nach Südamerika ausgewandert, wo er 20 Jahre eine Zahnpraxis betrieb, danach weitere zehn Jahre eine auf Mallorca. Bis er 1989 nach Frankfurt (Oder) kam und dort fürs Arbeitsamt Leute zum Zahntechniker umschulte. In Slubice arbeiten für ihn heute zwölf Angestellte, darunter vier Zahnärzte, im Zweischichtsystem. Die meisten Patienten sind natürlich Polen, aber immer mehr auch Deutsche. Sie bringen immerhin rund die Hälfte des Praxisumsatzes ein.

Rentner Frank hat letztlich nur die von manchen Zahnlabors bereits praktizierte Arbeitsverlagerung in Billiglohnländer schlicht auf die Zahnbehandlung ausgeweitet. Nicht die Prothese, sondern der ganze Patient wird ins Preisparadies geholt. Wo das genau liegt, ist übrigens für den Behandlungswilligen unschwer zu finden. Ab dem städtischen Grenzübergang weisen laufend Schilder den Weg zur Klinik.

Die Räume der Klinik verbreiten einen Charme, der die Besucher sofort erkennen läßt, daß hier kein Geld für angenehmes Ambiente „verschwendet“ wird. Denn in der Zahnklink von Jochen Frank dreht sich letztlich alles ums gesparte Geld, denn im Vergleich zu Deutschland sind die Preise extrem niedrig. So kostet in der „Dental Clinica“ einmal Zahnziehen inklusive Betäubung zwischen 16 und 22 Mark (eine Leistung, die in Deutschland allerdings kein Kassenpatient selbst bezahlen muß) und eine Krone mit Keramikverblendung 250 Mark (kostet hierzulande rund 570 Mark, wovon die Kassen bis 340 Mark übernehmen). Alle Preisangebote für den Zahntouristen sind „all inclusive“, also einschließlich Behandlung und Laborkosten.

„Nur über den Preis funktioniert das Geschäft aber nicht. Die Qualität muß stimmen“, sagt der Dentist und beteuert, daß alle verwendeten Materialien aus Deutschland sowie Implantate aus der Schweiz kämen. Das rechne sich trotzdem, weil er „eben gut kalkuliert“ habe. Gerade die Ausgaben für Miete, Steuern, Sozialabgaben und natürlich Löhne wären viel geringer als in Deutschland. So bekommen die angestellten Zahnärzte kein Grundgehalt, sondern nur einen bestimmten Anteil auf jede erbrachte Leistung. Seine Angestellten hat der deutsche Chef nach eigenen Worten zum Teil selbst weitergebildet. Heute berate er sie aber nur noch „bei besonderen Vorkommnissen oder schwierigen Fällen“. Pfusch brauche niemand zu fürchten, schließlich gäbe es für den Zahnersatz drei Jahre Garantie.

Der Chef der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Brandenburg, Dr. Gerhard Bundschuh, zweifelt allerdings an der Qualifikation der Zahnärzte. „Und wenn wirklich dieselben hochwertigen Materialien wie in Deutschland verwendet werden, sind solche Billigangebote eigentlich unmöglich“, sagt der selbst praktizierende Stomatologe. Jeder Zahntourist sollte wissen, daß ein im Ausland angefertigter Zahnersatz im Falle einer Reparatur in Deutschland teuer wird, weil dafür die Kassen in der Regel nicht aufkämen. Ein Rechtsstreit zwischen Patient und polnischem Zahnarzt würde zudem immer vor einem polnischen Gericht in der Landessprache ausgetragen.

So weit denkt ein Berliner Ehepaar, das zum ersten Mal hierher gekommen ist, selbstverständlich nicht. Es hat von einem Bekannten von dem Billigparadies gehört und die Kostenvoranschläge ihres Hauszahnarztes gleich mitgebracht. Für Kronen sowie Brückenarbeiten soll der Mann demnach 1.600 Mark zuzahlen, seine Frau 2.900 Mark. In Slubice verspricht ihnen der Dentist dieselben Leistungen für 750 und 1.750 Mark. Eigentlich sind die Berliner mit ihrem Hauszahnarzt ja „sehr zufrieden“. Aber der Preisunterschied sei doch zu verlockend, sagt der Mann. „Man muß ja heute so aufs Geld gucken.“ Gunnar Leue