Hochgradig kontaminiert

■ Gesundheitsbelastende Holzschutzmittel in Ostberliner Dachgeschossen nachgewiesen

In vielen Altbauten in Ostberlin und anderen ostdeutschen Städten tickt eine unberechenbare, gesundheitsgefährdende Zeitbombe: Tausende Dachstühle in Ostberlin sind durch die Behandlung mit gefährlichen Holzschutzmitteln zu DDR-Zeiten hochgradig kontaminiert. „In manchen Altbaudachstühlen liegt die Belastung durch die Giftstoffe DDT oder Pentachlorphenol um über das 1.000fache über den tolerierbaren Werten“, sagt Jochen Frey, Allgemeinmediziner in Prenzlauer Berg. „Auf einzelnen Dachstühlen wurden bis zu drei Gramm DDT beziehungsweise ein Gramm Pentachlorphenol pro Kilogramm Staub festgestellt.“ Das Bremer Umweltinstitut bewertet bereits 30 Milligramm Pentachlorphenol (PCP) pro Kilogramm Hausstaub als „sehr hohe Belastung“.

Auf Geheiß des DDR-Ministerrats war in den siebziger und achtziger Jahren auf den Dachstühlen vieler Altbauten das Holzschutzmittel namens Hylotox 59 aufgebracht worden, um die Bausubstanz vor dem Verfall zu schützen. Hylotox 59 enthält das krebserregende Pilzgift PCP und DDT (Dichlor-Diphenyl-Trichlor- Ethan). DDT ist in Westdeutschland bereits seit 1972 verboten. Dieser Giftstoff dampft noch Jahrzehnte nach der Aufbringung aus und reichert sich im Laufe der Zeit im Fettgewebe des Körpers an. Das Mittel Hylotox 59 war in der DDR bis 1986 sogar für die Behandlung in Innenräumen zulässig.

Der Berliner „Beratung und Analyse-Verein für Umweltchemie e.V.“ (B.A.U.CH.) hat bisher 81 Dachgeschosse untersucht. Das Ergebnis ist besorgniserregend: Bei 47 Dachgeschossen fanden sich Proben mit „hoher bis sehr hoher Belastung an PCP und/oder DDT“. „Die auf den Dachböden vorgefundenen Schilder über die Behandlung mit Holzschutzmitteln stimmten mit unseren Materialuntersuchungen oft nicht überein“, sagt Sabine Becker, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei B.A.U.CH. „Oftmals waren auch keine Hinweisschilder über die Behandlung mit Holzschutzmitteln vorzufinden, und der Dachboden war trotzdem stark belastet.“ Bei hochgradig kontaminierten Dachstühlen sei die Entfernung aller belasteten Materialien die sinnvollste Methode. „Viele Hausbesitzer und die Behörden versuchen das Thema bisher totzuschweigen“, so Frey. „Aber auch die meisten Bewohner wollen sich mit der Problematik nicht belasten.“

Nach Eröffnung seiner Praxis 1993 in Prenzlauer Berg in der Schönhauser Allee registrierte Frey im Laufe der Zeit, daß auffallend viele Kinder und Jugendliche an Symptomen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Hyperaktivität, Konzentrations- und Verhaltensstörungen litten, Symptomen, die er in dieser Häufigkeit und Auffälligkeit aus seiner bisherigen Tätigkeit in Heidelberg und Zehlendorf nicht kannte. „Die Ursache dieser Symptome ließ sich allerdings nicht diagnostizieren“, so Frey. „Viele Krankheitsbilder habe ich in dieser Kombination hier zum ersten Mal gesehen.“ Bisher seien die Symptome oft jahrelang wie normale Allergien oder Erkältungen behandelt worden. Durch den Hinweis eines befreundeten Chemikers kam Frey auf die Idee, die Ausdünstungen von Holzschutzmitteln als Auslöser für die verschiedenen Krankheitsbilder in Betracht zu ziehen.

Das Ergebnis war erschütternd: Bei 30 von 300 untersuchten Patienten fand der Arzt im Blutserum Belastungen von über 10 bis 69 Mikrogramm PCP oder 4 bis 14 Mikrogramm DDT. „Es ist skandalös, daß es angesichts der Ergebnisse dieser Stichproben noch immer keine flächendeckenden Tests in den Ostberliner Altbaubezirken und anderen ostdeutschen Städten gibt“, so Frey. Betroffene sind hauptsächlich die Bewohner der oberen, dem Dachstuhl nahe liegenden Geschosse und die Bewohner ausgebauter Dachgeschosse. „Bisher bleiben die betroffenen Menschen mit diesem ihre gesundheitliche und materielle Situation belastenden Problem weitgehend sich selbst überlassen“, sagt der Mediziner.

Aus diesem Anlaß hat er gemeinsam mit einigen anderen Ärzten den Verein „ÖkoMed Netzwerk Gesundheit & Ökologie“ ins Leben gerufen (siehe Kasten oben). „Wir wollen den ständig wachsenden umweltbedingten Belastungen und den sich daraus ergebenden medizinischen Herausforderungen mit kompetenten, medizinisch und ökonomisch sinnvollen Diagnose- und Therapiekonzepten begegnen“, so Frey. Jetzt müsse es darum gehen, diesen Gefahren effektiv entgegenzuwirken. „Die zunehmenden Umweltbelastungen machen eine fundierte umweltmedizinische Diagnostik und die Entwicklung geeigneter Therapieverfahren dringend erforderlich“, meint Frey. „Aufgrund der zunehmenden restriktiven Haltung vieler gesetzlicher Krankenkassen bestehen für Kassenärzte jedoch nur unzureichende Möglichkeiten für die Durchführung solcher Maßnahmen.“ Volker Wartmann