Der Asylbewerber wird gläsern

■ Als erstes Bundesland führt Berlin Chipkarten für Lebensmitteleinkauf von Flüchtlingen ein. Einkauf in Discountläden ist nicht möglich. Datenschutzbeauftragter kennt System nicht

AsylbewerberInnen, die in Wohnheimen wohnen, werden ab Mitte Juni für ihre Lebensmitteleinkäufe mit Chipkarten ausgestattet. Damit wird für rund 2.000 Menschen, die ihre Leistungen vom Landesamt für Soziales erhalten der Zwangseinkauf in zwei Sorat-Läden hinfällig. Mit den Chipkarten können die Menschen künftig in 30 türkischen und arabischen Einzelhandelsgeschäften einkaufen, sagte Michael Thiel von der Landessozialverwaltung der taz. Der Senat verhandelt mit weiteren kleinen Läden und Handelsketten, bislang ohne konkretes Ergebnis. Thiel: „Wir wollen mindestens drei Läden pro Bezirk in das Einkaufssystem einbeziehen.“

Ziel sei es, so Thiel, auch landesweit 27.000 Bürgerkriegsflüchtlinge, geduldete Flüchtlinge und AsylbewerberInnen in Wohnungen mit den Chipkarten auszustatten. Doch diese Menschen erhalten ihre Sozialhilfe durch die Bezirke und bislang als Bargeld. Das Asylbewerberleistungsgesetz erlaubt den Sozialämtern, zu entscheiden, ob die Menschen Geld oder Sachleistungen erhalten. Die CDU-SozialstadträtInnen haben angekündigt, mitzuziehen. Die 12 SozialstadträtInnen von SPD, PDS und Bündnisgrünen verweigern sich dem Sachleistungsprinzip in Form von Chipkarten.

Die Firma Sorat hatte bereits im vergangenen Herbst den Ausstieg aus den Magazinläden, die sie seit knapp einem Jahr betreibt, angekündigt. Die VerkäuferInnen waren wegen überteuerter Preise und mangelhaften Angebots an frischen Produkten Protesten der AsylbewerberInnen ausgesetzt. Außerdem war die Firma, die dem Land Berlin den Einstieg in das Sachleistungsprinzip ermöglichte, Ziel von Anschlägen und Kaufboykotten gewesen. Für das neue System trägt die Landeskasse die Verwaltungskosten in Höhe von 1,5 Prozent der Umsätze. Das sind für 2.000 Flüchtlinge rund 10.000 Mark pro Monat und damit erheblich weniger als die Sorat-Kosten.

Georg Classen vom Flüchtlingsrat hält das System für äußerst problematisch: „Die Sozialhilfesätze sind an den Preisen der Lebensmittel-Discounter ausgerichtet.“ Doch in den Einzelhandelsgeschäften lägen die Preise erheblich höher, oft doppelt so hoch. Deshalb sei etwa in Hamburg ein ähnliches System gescheitert.

Zugleich fürchtet Classen, daß „mit dem Chipkartensystem der Einstieg in den gläsernen Bürger“ betrieben wird. Der Betreiber des Zentralcomputers, die bayerische Firma Infra Card, habe, so Classen, Zugriff auf personengebundene Daten der Flüchtlinge wie auch einen Überblick über jeden einzelnen Einkaufsvorgang. Bereits jetzt, so Rechtsanwalt Ronald Reimann, könnten Verwaltungen jeden Einkauf von Asylbewebern bei Sorat nachvollziehen.

Datenschutzbeauftragter Hansjürgen Garstka hat dem System entgegen anderslautenden Meldungen aus der Sozialverwaltung nicht seine Zustimmung gegeben. Seine Behörde habe lediglich zwei ältere Konzepte zur Prüfung erhalten. „Das Konzept Infra Card kennen wir gar nicht“, erklärte Garstkas Sprecher der taz. Marina Mai