■ Heute abend: Riesenbeschiß in Birmingham
: Cohl und die Schlawaken

In England von Links, bei uns jedoch: von Rechts wegen müßte der Grand Prix heute abend spätestens um 20.59 Uhr gerade noch rechtzeitig abgeblasen werden. Denn was sich da in Birmingham „International Song Contest“ nennt und zusammenbraut, ist eine einzige jämmerliche Pharse, eine Gaunerei von ganz vorne (Kroatien, Startnummer 1) bis ganz hinten (Mazedonien, Startnummer 25). Dazwischen nichts als Lug und Trug, üble Täuschung und fiese Irreführung.

Offensichtlich sind jetzt alle plemplem geworden. Kein einziges Teilnehmerland erfüllt die strengen Voraussetzungen für diesen Wettbewerb – und doch nehmen sie alle teil. Früher ging es mal darum, daß sich die besten Musiker eines Landes im fairen Wettbewerb der freien und geheimen Wahl sachkundiger Juroren stellen. Und nicht darum, unter dem Deckmäntelchen der Chansonkultur zynische Absahnerei (Zypern! Irland!) oder gar pseudodadaistisches Kasperletheater à la Guildo Horn zu vollführen. Dazu ist der „Grande Slam des Chansons intérnationales pour le mérite des moments musicaux d'Eurovision“ (so die vollständige Originalbezeichnung) einfach nicht da.

Als sich die europäischen Väter des Grundgesetzes 1958 im belgischen Liège (Leeuwen) trafen, um die erfolgreiche Gründung der Montan-Union mit einem europäischen Musikwettbewerb zu besiegeln (erste Gewinnerin: Gloria Spagalozzi, Italien), da ging es ihnen um die musikalische Huldigung der europäischen Grundbegriffe Harmonie, fröhliches Zusammenspiel und tolle Stimmung im Saal und auch draußen. Davon ist heute leider nichts mehr zu spüren.

Europäischer Gesangswettbewerb. Aha. Da muß man sich ja zunächst einmal fragen, was denn Länder wie Zypern, Estland, die Türkei oder Ungarn dabei überhaupt verloren haben. Und in welchem Teil Europas liegt eigentlich Israel? Oder müssen die Juden jetzt automatisch überall mitmachen dürfen? Ferner stellt sich die Frage, ob denn Gegenden wie Kroatien, Slowenien oder auch die Slowakei wirklich richtige Länder sind wie zum Beispiel Deutschland, wo ja das „Land“ ganz unverkennbar am Namen hinten dran hängt. Wenn jeder Balkanstamm ein eigenes Land hat, warum treten wir Deutsche dann nicht als Sachsen, Schwaben, Sorben und so weiter an? Dafür fehlen dann richtige Länder wie Italien, wo traditionell immer exzeptionelle Musik herkam (Nino de Angelo, Giulio Andreotti).

Sogar Polen macht mit. Ausgerechnet Polen!! Und dann noch die ganzen Schlawaken! Hat man denn je schon einmal einen guten Schlager oder Interpret gehört, der aus einem dieser dazubeschissenen Pipifaxländer kam?

Was von dort kommt, ist sowieso geklaut. Das Lied des ungarischen Mitbewerbers Charlie (heißen so Ungarn?) „A holnap mar nem lesz szomoru“ ist ganz offensichtlich von Elvis Presley abgekupfert („A wop bap balooba balap bam boum“), und der zypriotische (wie das schon klingt!) Sänger Michalis Hadjiyiannis hat sich mit seinem Lied „Yenesis“ sogar eine der erfolgreichsten Musikgruppen der Welt unter den Nagel gerissen.

Einzige Ausnahme: der türkische Rai-Sänger Ümüt Besen, der in Deutschland schon seit Jahren unter seinem nom de guerre Wolfgang Petry bekannt ist. Er verbindet aufs angenehmste türkisches Orientgedudel mit modernen westlichen Rhythmen. Kein Wunder, daß ausgerechnet Petry nicht für die Türkei antreten darf; statt dessen huldigt Tüzmen mit „Unutamazsin“ (dt. „Einergehtnochrein“) auf ordinäre Weise dem Dosenbiertrinken am Ramadan. Pfui Spünne!

Obwohl der Contest einwandfrei unpolitisch sein soll (§ 4.2 EurSchlWttbwbG), zeigt sich auch in der Beschickung der einzelnen Länder unschön der dominierende Einfluß der Deutschen. Wie man's vom Euro kennt. Helmut Kohl brachte gleich zwei europäische Schwellenländer unter seine Knute: Für Spanien tritt mit Mikel Herzog der leibhaftige Sohn des Bundespräsidenten an, für Belgien sogar ganz unverhohlen die direkte Kanzlerverwandtschaft (Melanie Cohl).

Dafür schickt aber Deutschland einen humorlosen Vollidioten und Israel gar eine Sängerin, die früher mal eine Frau bzw. ein Mann gewesen sein soll und in ihrem vorigen Leben als Lutz Rathenow Schlagertexte geschrieben hat. Da kann ich nur noch „gratulieren“. Oliver Schmitt